Drachentöter

 

„Legenden, die meisten Legenden werden erst zu dem was sie sind, nachdem die Helden von denen sie berichten zu Staub und Dreck zerfallen sind. Große Krieger, denen erst nach ihrem Tod die Anerkennung zuteilwird, die sie verdienen! Ich habe nicht vor so lange zu warten! Ich nehme mir mein Vorrecht, schon zu Lebzeiten eine Legende zu sein und jeder der daran zweifelt, wird zu Staub und Dreck zermalmt.“

 

- Gharsz der Drachentöter, kurz nach dem Mord an König Thedis und seiner anschließenden Selbstkrönung.

 

Dicker, öliger Rauch quoll aus der Stadt und verfärbte den blauen Himmel, wie Tinte die man in Wasser gegossen hatte. Der Geruch von Feuer lag überall in der Luft, geschwängert vom Angstgestank der Menschen die hinter den schutzbringenden Stadtmauern eingesperrt waren, dem süßen Aroma des Todes der sie ereilte und den Ausdünstungen des Heeres vor ihren Toren. Es war der Duft einer Schlacht.

Der Duft einer Belagerung.

Der Duft seines nächsten glorreichen Sieges.

Zufrieden betrachtete er das zerstörerische Werk der Katapulte, die seit Tagen die Stadt mit Brandgeschossen eindeckten. Seine Augen wanderten über die beinah intakte Mauer. Jeder seiner Waffenmeister war angewiesen worden, nur die Stadt, aber nicht die Mauer unter Beschuss zu nehmen. Sie sollte stehen bleiben, als Mahnmal an all jene die es wagten seine Macht nicht zu respektieren und dem Irrglauben verfallen waren, profaner Stein könnte ihn aufhalten. Um seinen Waffenmeistern den nötigen Ansporn zu geben, hatte er einen von ihnen pfählen lassen. Nur zur Verdeutlichung, nicht zur Strafe.

„Herr“, riss ihn eine Stimme aus den Gedanken.

„Was!“ blaffte er, ohne den Blick von der Mauer abzuwenden.

„Herr, sie öffnen die Tore. Sie scheinen zu kapitulieren“, rief ihm der Mann zu.

„Das sehe ich auch du Narr!“ sein Blick wanderte nach unten. Vor dem einfachen Holzaufbau, der als Hochsitz diente, stand ein breitschulteriger Mann. Sein massiger Oberkörper war entblößt, glänzend vor Schweiß, der Kopf kahl rasiert und mit einem Brandmal gezeichnet. Einem kruden Buchstaben, einem G. Das Zeichen der Verschwohrenheit gegenüber seinem Herrn.

„Herr, ich wollte nur wissen welche Befehle ihr nun für uns habt“, die Stimme des Mannes zitterte leicht.

„Stellt das Feuer ein und sammelt die Kämpfer“, er lächelte, was sein vernarbtes Gesicht noch mehr entstelle „Ich erkenne ihre Kapitulation nicht an, sie beleidigt nur meine Ehre.“

„Ja Herr.“

Ohne ein weiteres Wort machte der Krieger kehrt. Nach einigen Augenblicken war er in dem Gewirr aus Zelten, Feuerstellen, Wagen, Kisten und Kriegsgerät verschwunden, die das Lager der Armee bildeten. Das Gras war schnell der nackten Erde gewichen, so dass sich das Lager wie ein großer, dreckiger Fleck vor der Stadt ausgebreitet hatte.

„Bringt meine Waffe!“

Vorfreude erfüllte ihn, als er an seine geliebte Waffe dachte und das kommende Massaker das mit ihr einher ging. Die Bewohner der Stadt würden einen hohen Preis dafür zahlen, dass sie ihm den Eintritt verwehrt hatten um ihren Stadtfrieden zu wahren. Ihre erbärmliche Göttin verbot alle Waffen in der Stadt. Sie wollten sich seinem Wort nicht beugen. Doch jeder beugte sich seinem Wort, seinem Willen. Ausnahmslos.

Seltsame, metallische Klänge, die nicht zum Hintergrundlärm einer Belagerung passen wollten, drangen an sein Ohr. Es waren Schellen und Glöckchen, die gleichmäßig erklangen und seine Waffe ankündigten. Behäbig drehte er sich um, während eine kleine Prozession aus dem großen Hauptzelt hinter seinem Hochsitz kam. Sie bestand aus sechs Frauen, an deren Hand und Fußgelenken goldene Bänder mit kleinen Glöckchen und Schellen waren die bei jeder Bewegung erklangen. Sie waren beinah die einzige Kleidung, sah man von einer seidenen Schürze und einem Geschirr ab, dass sie am Kopf trugen. In den Händen hielten sie die Griffstangen einer Trage, auf deren samtener Fläche eine brutale, beinah groteske Waffe lag. Die Männer vor dem Hauptzelt hielten inne, während sie die Trägerinnen mit einer seltsamen Mischung aus Gier und Ehrfurcht ansahen.

Auf ein Handzeichen von ihm kam die Gruppe zum stehen. Er gönnte sich einen kurzen Moment, um den Anblick der Frauen zu genießen. Ihre hochdrapierten Haare, die von dem Geschirr gehalten wurden, ließen sie ein wenig wie Pferde auf einer Parade wirken. Das Lächeln auf seinen Lippen wurde breiter. Jede der Frauen war einmal eine Prinzessin oder ähnliches gewesen, Königstöchter die ihm als Tribut gezahlt wurde damit er die schwächlichen Reiche ihrer Väter verschonte. Väter die vor Angst zitterten oder wie alte Weiber flehten, wenn der Schatten seines Streithammers auf sie fiel.

Wyrmtôd.

Schuppige, schwarze Haut umband den langen Schaft dessen unteres Ende in einem blutroten Sporn auslief. Der Kopf des Hammers war ein bizarres Gebilde, dass mit dutzenden, gebogenen Klingen gespickt war, die wie Zähne und Hörner aussahen. Manche besaßen die Länge eines Fingers, andere die eines Unterarms, doch war ihnen allen gemeinsam das sie Farbe von vergilbten Knochen und getrocknetem Blut hatten.

Nachdem er den Anblick ausgiebig genossen hatte, sprang er ab und landete in einer kleinen Pfütze direkt vor dem Hochsitz. Dreck spritzte auf.

 

Dreck spritzte auf, als er mit einem dumpfen Klatschen im Schlamm landete, gut einen Meter weit rutschte und erst von einem schlafenden Schwein gebremst wurde, dass sich protestierend quiekend erhob. Grollend verpasste er dem Schwein einen Schlag an den Kopf.

„Verfluchter zechprellender Hurenbock, wenn ich dich hier noch einmal sehe, ertränke ich dich im Schweinetrog!“ brüllte eine massige Gestalt ihm nach. Durch den Schweinedreck im Gesicht konnte er kaum etwas erkennen, nur das warme Licht, dass durch die Tür hinter der Gestalt drang.

„Das sagst du doch jede Woche“, antwortete er schnaubend.

Etwas Warmes lief sein Gesicht hinab, zu dünn für den klebrigen Schweinemist. Die Gestalt drehte sich kopfschüttelnd um, griff nach der Tür und schlug sie krachend hinter sich zu. Zwielicht und dampfender Dreck umgaben ihn.

Torkelnd kam er auf die Beine und bemerkte erst jetzt die brennenden Schmerzen in seinem Körper. Der Wirt und seine Schläger hatten ihm übel zugesetzt. Er schätzte das mindestens eine Rippe, die Nase und noch was gebrochen sein mussten. Aber es war es wert gewesen. Sechs große Humpen güldener Met sowie ein Stich bei der schönen Rhaga. Lachend stampfte er davon. Hinter ihm fiel das Schwein um.

Der Mond hatte die Mitternacht schon lange hinter sich gelassen, als er sein Heim erreichte. Ein altes, verwittertes Zollhaus am Rand der Stadt. Eine Zuflucht für all jene, die niemand in einem Haus wissen wollte. Die Tür bestand nur noch aus ein paar Brettern, daher machte er keine großen Anstalten sie zu schließen, sondern ließ sich gleich in der ersten Ecke zu Boden sinken. Der Rausch verklang langsam und aus der schönen Rhaga, wurde allmählich die alte Rhaga.

„Wieder rausgeflogen, he?“sprach ihn eine amüsierte Stimme aus der Dunkelheit an.

„Ja, aber es hat sich gelohnt“, entgegnete er mürrisch. Der Rausch und die Müdigkeit begannen ihn aggressiv zu machen. Außerdem wurde die schöne Rhaga immer älter und hässlicher.

„Irgendwann werden sie es nicht nur bei einer gebrochenen Nase belassen Gharsz“, ein wandelnder Haufen Lumpen trat in das spärliche Mondlicht vor „Da liegt kein Segen drin, dauernd aus dem Freudenhaus geworfen zu werden.“

„Lass mich schlafen, alter Gebetsbruder“, Gharsz drückte sich weiter in die Ecke, während er die Arme demonstrativ verschränkte.

„Du bist noch jung und kräftig. Du kannst noch was aus dir machen. Dein Schicksal muss nicht in diesem Haus enden, wie das meine“, der alte Mann trat noch etwas näher, seine Stimme war brüchig wie seine Zähne und Knochen.

„Ich bestimme mein Schicksal!“ brüllte er den alten an, der in seinem Lumpen zusammenfuhr.

Abrupt herrschte Stille.

„Junge“, brach der Alte die Stille „Ich will das du Morgen zum Markt gehst, dort suchen sie kräftige Hände um einige Wagen durch den Hadringer Pass zu bringen. Sie zahlen sehr gut und du kommst hier Weg. Ich bitte…“

„Niemand!“ donnerte Gharsz und griff nach etwas, dass er werfen konnte. „Nicht einmal du, Vater!“ als er etwas gefunden hatte, warf er es nach dem Mann, der kreischend zu Boden ging.

„Befiehlt mir, was ich zu tun habe!“

Am nächsten Morgen ging er zum Markt, um sich den Händlern mit ihrem Tross anzuschließen. Der alte Mann lag immer noch dort, wo er in der Nacht zu Boden gegangen war.

 

Mit großen Schritten eilte er durch das Lager, beseelt von der Vorfreude auf den Kampf und seinem nächsten Sieg. Die Sklavinnen hatte er schon weit hinter sich gelassen, an ihrer statt folgten ihm nun immer mehr brutale Männer, die er seine Krieger nannte. Er nährte sich der ersten Linie, wo die schlimmsten Krieger seiner Armee nur auf die Ankunft ihres Herrn warteten. Männer die in anderen Ländern jenseits der Gesellschaft gelebt hatten. Schläger, Mörder, Vergewaltiger und noch schlimmeres. Sie alle hatten sich um sein Banner gescharrt wie Motten um eine Laterne. Eine Laterne die er nur zu bereitwillig war. Solange sie ihm gehorchten, erlaubte er ihnen alles. Es kümmerte ihn nicht, dass seine Armee als Barbarenhorde und Mörderhaufen angesehen wurde. Stärke und Respekt, dass zählte, keine verweichlichte Moral.

„Mein Herr, endlich seid ihr da. Das erste Blut wartet auf Euch und hoffentlich wird genug für uns übrig bleiben“, sprach ihn ein besonders grobschlächtiges Exemplar an. Ein Hüne, dessen Haut nur noch aus alten Narben zu bestehen schien und dessen Gesicht pure Mordlust ausstrahlte.

„Wir werden sehen Heermeister“, grinste Gharsz ihn an „Je nachdem wie viele das Feuer überlebt haben.“

Gharsz wollte seine Waffe heben um den Sturm zu befehlen, doch sein Heermeister trat einen Schritt näher. Leise sprach er ihn an.

„Herr, wegen dem Feuer, vielleicht solltet ihr noch ein wenig warten. Die Stadt brennt lichterloh und die Mauer scheint, obwohl sie unversehrt ist, nicht mehr…“ er kam nie dazu den Satz zu beenden.

Obwohl Wyrmtôd eine riesige Waffe war, konnte Gharsz sie leichthändig führen. Mit einer spielenden Handbewegung ließ der den mächtigen Kopf des Hammers nach hinten fallen, der Sporn am anderen Ende schnellte hoch und schnitt mit einem grässlichen, nassen Geräusch durch das Fleisch des Heermeisters. Bevor dessen Verstand erfasste was geschehen war, fielen seine beiden Hälften feucht klatschend auf den Boden.

„Niemand, befielt mir etwas! Niemand!“ brüllte Gharsz die Leiche an. Dann schritt er durch die blutigen Eingeweide Richtung Stadt. Seine Horde folgte ihm.

 

Seit vier Tagen folgte ihm der Tross durch den Hadringer Pass, der sich von seiner besten Seite zeigte. Regen, schneidende Winde und Nebel der ihnen wie ein ungebetener Gast durch das zerklüftete Hochgebirge folgte. In der grauen Trostlosigkeit wirkten die bunten Wagen der Händler völlig fehl am Platz.

Die anderen Männer im Tross hielten Abstand von Gharsz, da dieser schon gleich am ersten Tag unmissverständlich seinen Standpunkt bezüglich der Hierarchie klar gemacht hatte. Allerdings wollte ihm auch so gut wie niemand den Posten an der Spitze streitig machen. Kurz nach der Abreise wurde bekannt gegeben, dass schon seit Wochen immer wieder Leichen im Pass gefunden worden.

Gegen Mittag gesellte sich einer der Männer zu Gharsz, der mit seiner riesigen Holzfälleraxt gut zehn Schritte vor dem ersten Wagen daher stampfte.

„Glaubst du es sind Räuber?“ fragte der kleinere Mann, der einen ausgeprägten Vollbart trug.

„Keine Ahnung. Vielleicht sind es auch Orks. Mir soll es gleich sein, ich werde alle töten“, antwortete Gharsz ohne den anderen anzusehen.

„Dein Wort in der Götter Ohren. Aber es würde erklären wieso die Händler so viele Leute angeheuert haben. Eigentlich gilt der Pass ja als sicher“, Gharsz sagte Nichts.

„Weißt du, eigentlich bin ich Tischler. Ich mach das hier nur, weil meine Frau schwanger ist und wir ein wenig mehr Geld brauchen könnten. Hätte ich gewusst das hier seit Wochen Menschen sterben, wäre ich daheim geblieben“, redete der andere weiter.

„Feigling.“

„Was?“ der andere blinzelte.

„Du bist ein Feigling. Hast Angst vor irgendwas, von dem du nicht mal weißt was es ist“, entgegnete Gharsz trocken, er sah den anderen immer noch nicht an.

„Hast du den keine Angst? Wer weiß was hier sein Unwesen treiben könnte. Mir liegt was an meinem Leben.“

„Das Leben eines Feiglings ist bedeutungslos und ich fürchte mich nicht, da ich einfach alles erschlagen werde, was sich mir in den Weg stellt.“

Gharsz sah den kleineren Mann an, der schwer schluckte. Sein Blick ließ keinen Zweifel an dem Gesagten aufkommen oder der Verachtung für sein Gegenüber. Langsam zog der Mann sich zurück. Der Tross hinter ihm zog weiter.

Dann begann das Sterben.

Als wäre es eine schlechte Laune der Natur, verwandelte sich der dichte Nebel seitlich von ihnen in eine Wand aus Feuer, die alles niederwalzte was sich ihr in den Weg stellte. Selbst die Schreie schienen zu verbrennen, denn außer dem Brodeln des Feuers war Nichts zu hören. Als das Feuer ging, ließ es gut zwei Dutzend verkohlte Leichen und einen Haufen entsetzter Männer zurück. Das sollte jedoch nicht lange anhalten.

Schuppen und Reißzähne brachen aus dem Nebel hervor, schnappten nach den Männern und zerfetzen jene, derer sie habhaft werden konnten. Teile von ihnen landeten überall auf dem Boden, der schnell dem eines Schlachthauses glich, der Rest verschwand im Schlund hinter den Reißzähnen. Der Drache hatte Hunger.

Obwohl er so groß wie ein Haus war, bewegte er sich geschmeidig und schnell, ohne dabei Geräusche zu machen. Seine perlmutfarbenen Schuppen reflektieren das Licht, so dass ihn ein überirdischer Schein umgab, der seine majestätische Gestalt nur noch ehrfurchtgebietender erscheinen ließ. Das Gemetzel um ihn herum wollte nicht zu seiner Erscheinung passen.

Das Verhalten der Menschen schon eher.

Die meisten rannten schreiend um ihr Leben, andere hockten auf dem Boden, weinten und nässten sich ein. Einige versuchten sich zu wehren, was ihnen die Gnade eines schnellen Todes brachte. Nur einer stand still dar.

„Drache!“ brüllte Gharsz laut genug um die Schreie zu übertönen „Komm und stell dich deinem Henker!“

Für einen kurzen Augenblick hielt der Drache inne, um nach dem Grund der dreisten Störung  seines Mahls zu suchen. Ein Stück weit von ihm entfernt stand Gharsz mit erhobener Axt, den Blick trotzig und wütend auf ihn gerichtet. Einen Herzschlag lang trafen sich ihre Blicke, dann wischte der Drache Gharsz mit einem Schwanzhieb fort. Der Schlag kam so schnell und kraftvoll, dass die Welt in Dunkelheit versank. Zuerst war es eine nicht greifbare, gefühllose Dunkelheit die nichts außer sich selbst zu kennen schien. Grade als er sich an sie gewöhnt hatte, änderte sie sich im wahrsten Sinne des Wortes schlagartig. Etwas Festes Durchdrang sie, hart wie ein Brett, dann sickerten Kälte und Nässe in die Dunkelheit hinein. Bilder. Gedanken. Der Drache. Wut kochte in ihm auf, heiß und stark genug um ihn aus der Dunkelheit zu treiben.

Keuchend brach Gharsz durch die Wasseroberfläche. Desorientiert sah er sich um, fand aber nichts vor außer kargem Stein. Von irgendwo oben drangen Schreie an sein Ohr. Der Schwanzhieb hatte ihn ein ganzes Stück zur Seite befördert, wo ein tiefer Abhang war an dessen Fuß ein kleiner, tiefer Bergsee lag. Ohne zu zögern schwamm er an den Rand des Sees um dann den Abhang hinauf zu klettern. Sein Körper brannte vor Schmerzen und Wut. Die Axt war irgendwo verloren gegangen. Doch das scherte ihn nicht, er wollte nur zu dem Drachen zurück.

„Drache!“ brüllte er voller Hass.

Keine Reaktion.

„Komm her! Ich werde dich erwürgen!“ schrie er weiter, doch antworteten ihm nur die Echos der Schreie.

„Lass mich nicht warten!“

Meter um Meter zog er sich hinauf. Manchmal rutschten seine nassen Hände ab, also griff er nach den scharfen Kanten umso Halt zu finden. Blut lief aus den Wunden, befleckte den grauen Stein schon an vielen Stellen, wo er entlang geklettert war. Den Schmerz brüllte er hinaus.

Als er zwei Drittel des Aufstiegs geschafft hatte, rauschte etwas Großes an ihm vorbei und landete platschend im See. Einige Momente lang suchte der Drache nach Gharsz und als er ihn fand, drang etwas in dessen Kopf ein, das nicht dorthin gehörte.

„Ich wusste, dass Menschen töricht und arrogant sind. Dumm und übermütig. Aber du, Mensch, setzt all dem die Krone auf“, dröhnte eine tiefe Stimme in seinem Kopf.

„Aus meinem Kopf!“ rief Gharsz .Beinah hätte er sich mit beiden Händen an selbigen gefasst.

„Statt zu fliehen und meine Gnade zu akzeptieren, suchst du den Kampf mit mir“, sprach der Drache weiter.

„Ich fliehe niemals, vor niemandem!“ hielt Gharsz trotzig dagegen.

„Dein Mut ist beachtlich, genau wie deine Dummheit. Beides zusammen amüsiert mich, muss ich zugeben“, gellendes Lachen erklang in seinem Verstand und entfachte bislang unbekannte Wut.

„Komm und stell dich“, kreischte Gharsz, beinah Ohnmächtig vor Wut und der Tatsache, dass er seinen Feind nicht greifen konnte.

„Wie du willst“, die Worte wehten so kalt wie ein Winter durch seinen Geist.

Der gewaltige Körper des Drachen setzte sich in Bewegung. Armlange Klauen wurden in den Stein getrieben, krallten sich fest und ließen ihn davon spritzen. Was Gharsz viel Zeit und Kraft gekostet hatte, schien für den Drachen nur eine Pflichtübung zu sein. Mit kräftigen, schnellen Zügen kam er näher. Jeder Zug wurde von einem immer stärker werdenden Erzittern des Felsen begleitet, als würde er sich vor dem Drachen fürchten.

Gharsz wollte den Kampf, aber konnte ihn unmöglich im Hängen austragen. Ein spitzzulaufender Vorsprung schien im ideal für den bevorstehenden Kampf zu sein. Er sammelte alle Kraft, die seine schmerzenden Muskeln boten.

Der Drache kam immer schneller näher.

 

Im Laufschritt nährten sie sich der Stadt. Die Krieger hinter ihm johlten, brüllten oder schrien seinen Namen. Sie waren wie entfesselte Bestien. Der Gestank von Feuer und Tod schlug ihnen entgegen. Das große Stadttor war weit geöffnet. Dahinter konnte man die Ruinen der Häuser sehen. Schemen hatten sich vor ihnen versammelt. Eine Anhäufung von Schatten, die einmal stolze Bewohner gewesen waren.

Als Gharsz den Torbogen erreichte, blieb er abrupt stehen. Langsam hob er seine Waffe. Die Meute hinter ihm machte dasselbe, auch wenn ungeduldiges Raunen durch sie ging.

„Seht sie Euch an, diese feigen Kreaturen!“ mit seiner freien Hand deutete er auf die versammelten Einwohner, die rußverschmiert vor ihm standen. Angst, Entsetzen und Panik erfüllten ihre Gesichter.

„Selbst jetzt, wo der Tod vor ihnen steht weigern sie sich, sich zu wehren! Schlachtet sie ab! Weidet Euch an ihnen! Vergnügt Euch mit ihnen!“ er machte eine kurze Pause.

Hinter ihm kam hörbare Freude auf. Vor ihm endlose Angst.

„Aber lasst mir das erste Blut“, fügte er leise hinzu.

 

Bäuchlings landete er auf dem Vorsprung, stöhnte schwer und versuchte sich aufzurappeln. Der Sprung war anstrengender gewesen, als er dachte. Seine Beine schwankten, dass Gleichgewicht wollte nicht zu ihm zurückkehren. Die Welt schien sich vor ihm zu senken. Es dauerte einige Momente, bis er Begriff das dem wirklich so war. Der Vorsprung senkte sich immer weiter, bis er mit einem lauten Krachen brach um in die Tiefe hinabzustürzen. Mit der Spitze voran dem Drachen entgegen.

Durch die schweren Erschütterungen des Drachen, war der eh schon lockere Fels beinah gebrochen. Gharszs Aufprall war das letzte gewesen, was nötig war um ihn ganz zu lösen.

Heulend brüllte der Drache auf, als er das Geschoss auf sich zukommen sah. Er war zu nah zum entkommen. Die steinerne Spitze bohrte sich durch seine Schuppen in das Fleisch, zerschmetterte Knochen und tauchte alles in warmes, rotes Blut. Kurz zuckte der Körper noch einmal, dann löste er sich von der Wand und fiel leblos hinab. Der Stein und Gharsz folgten ihm. Das erste feuchte Klatschen kam vom Drachen, der ins Wasser fiel und liegen blieb. Das zweite vom Stein, der nun den Rest seines Körpers zermalmte. Gharsz landete in einem Morast aus Blut, zerdrücktem Fleisch und Wasser, das wild auf und ab schwappte.

Er begriff nicht sofort was geschehen war, es dauerte einige Stunden bis ihm die Tragweite all dessen gewahr wurde.

Vor ihm lag das Ende eines Drachen und der Beginn seiner Legende.

 

Gharsz senkte seine Waffe, als über ihm lauter Krach ertönte. Ein Geschoss schlug in den Torbogen ein, zertrümmerte das Wappen, einen riesigen steinernen Schild, so dass es in der Mitte brach. Ungläubig sah Gharsz die massive, spitzzulaufende Unterseite an, die auf ihn zu kam. Dann wurde es Dunkel.

 

Dies ist die Aegis von N´m-rashel, heiliges Schutzzeichen unserer Stadt und Zeichen der Liebe unserer Göttin. Obwohl sie zerborsten ist, hat sie unsere Stadt vor dem Kriegsherrn Gharsz geschützt, der mit seiner Horde einfallen wollte. Zwar sagen einige, sie wäre gebrochen weil einer seiner Waffenmeister den Befehl zum Aufhören nicht bekommen hatte, doch wissen wir alle dass es unsere Göttin war, die sie brechen ließ als der Mörder unter ihr stand.“

- Aus der Geschichte der Stadt N´m-rashel, Inschrift der Aegis

 

Das Schicksal hat vielleicht keinen Sinn für Humor, aber einen sehr feinen Sinn für Ironie.

- Weisheit der Schreiber.

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