Der Wall

 

Als er die Augen öffnete ging eine graue Sonne auf, die das Land in ein kränkliches Licht tauchte. Grau-gelber Nebel legte sich wie eine schäbige Decke über die Ebene zwischen den Bergen und der gewaltigen Festungsanlange auf der er stand, als versuche er das kommende zu verbergen. Nur dumpfer Lärm war zu hören. Aber musste er auch nichts sehen, da er genau wusste was kam.

Schwer atmend drehte er sich um. Der Stein unter seinen gepanzerten Stiefeln kratzte. Auf dem breiten Wehrgang tummelten sich dutzende von Männern die schlagartig innehielten. Ehrfürchtige Blicke lasteten auf ihm, während er langsam ihre Reihe abschritt. Er vermied es in ihre schmutzigen Gesichter zu sehen, da es ihn nur mit Übelkeit erfüllen würde. Anspannung und Erwartung lagen in der Luft. Die Furcht vor dem was kam. Die Hoffnung in dem was er sagen würde.

Als er stehen blieb hielten die Männer ihren Atem an. Unwohlsein ergriff ihn, als er sich zu ihnen drehte und sprach.

„Soldaten!“ rief er laut. Alle nahmen Haltung an. Sogen tief Luft ein, griffen ihre Waffen und sahen ihn voller Hingabe an.

„Ihr habt Angst“, er machte eine Pause, da die Worte wie Blei auf seinen Lippen waren „Doch das ist keine Schande, den nur ein Narr kennt keine Furcht vor dem was Euch erwartet. Niemand konnte Euch auf das vorbereiten was kommt. Niemand hätte je erwartet das ihr Euch dem stellt, dennoch seid ihr hier und das dies zeugt nur von einem. Eurem Mut!“

Ihre Schultern hoben sich, als hätte man ein Gewicht von ihnen genommen.

„Daher, Soldaten des Reiches, ist es eine Ehre für mich an Eurer Seite stehen zu dürfen. Schild an Schild gegen eine Horde die keinen Namen kennt. Dafür danke ich Euch. Das mir dieses“, wieder eine kurze Pause „Privileg zuteilwird.“

Die Zuversicht strahlte den Männern nur so aus den Gesichtern. Sie zitterten leicht, da sie den Stolz kaum unterdrücken konnten. Die Augen glänzten feucht, da seine Worte für sie mehr Wert besaßen als alles Gold der Welt. Mit gespielter Demut senkte er sein Haupt, da er sich abwenden musste.

Einer der Soldaten trat einen Schritt vor, schlug mit der freien Hand auf die Brust und schrie aus vollem Halse.

„Für die Götter! Für ihren Herold!“

Wie ein Chor wiederholten sie die Worte. Das Ritual wiederholte sich alle paar Meter. Und mit jedem Mal wurde sein Unbehagen größer.

An einem der gewaltigen Türme des Bollwerks stand niemand. Endlich war er kurz alleine. Schwer atmend lehnte er sich an den kalten Stein und blickte nach oben. Die Turmspitze verlor sich irgendwo in dem allgegenwärtigen Nebel, der hier und da von diffusem Licht durchbrochen wurde. Er ertappte sich dabei wie er jedes Mal wenn er das Licht sah, hoffte er würde auch den Himmel sehen können.

„So müssen sie mich sehen. Ein verfluchter Hoffnungsschimmer.“ murmelte er leise. Für einige Augenblicke stand er einfach nur still da, in das wabernde Nichts starrend.

„Herold!“ eine Stimme holte ihn zurück.

Ein Soldat kam angelaufen. Verdreckt wie die anderen, war er auch nur ein weiteres Gesicht das von ihm Zuspruch wollte. Der Herold drückte sich von der Wand ab und wollte sich aufrecht hinstellen, als er merkte dass etwas an dem Mann anders war. Sein Haar war blond, nicht dreckig.

„Kommandant“, sagte der Herold.

„Herold, endlich finde ich Euch“, der Kommandant holte kurz Luft „Herr, Sie kommen. Es beginnt.“

„Natürlich.“

Es dauerte einige Herzschläge bis der Herold den Blick des Kommandanten bemerkte. Ihm war gar nicht aufgefallen wie gleichgültig seine Antwort geklungen hatte.

„Verzeiht Kommandant“, er legte ihm die rechte Hand auf die Schulter „Aber nun ist nicht die Zeit der Worte, sondern des Kampfes. Wir wussten das sie kommen würden, also sollte es keine Überraschung sein“

„Ja Herr, ihr habt recht“, der Kommandant sah weg, als würde er sich schämen.

„Aber ich kann es euch nicht verübeln, dass ihr begierig auf den Kampf und den Sieg seid“, fügte der Herold hinzu. Ein kleines Lächeln rundete das Gesagte ab. Der Kommandant fing es auf, lacht kurz und nickte. Ohne ein weiteres Wort gingen die beiden über den Wall.

An jeder Zinne stand ein Soldat. Einen Bogen, eine Armbrust oder einen Speer in der Hand. Dazwischen standen immer wieder schwere Waffen, wie Speerwerfer oder Katapulte auf Aufbauten.  Ihr Ziel lag zwischen zwei besonders breiten Türmen, die das Haupttor des Walles umgaben. Ein trotziger Vorbau, der sich wie ein gewaltiges Kinn über dem Tor erhobt.

Der Stab des Kommandanten erwartete sie bereits. Voller Tatendrang erklärten die Offiziere den Schlachtplan. Schoben Figuren auf Karten umher, deuteten auf die Abwehranlangen und erläuterten die Aufstellung. Er hörte zu, aber die Worte drangen nicht in seinen Geist ein. Sein Blick galt nur dem wabernden Grau jenseits des Walls. Er wusste genau was kam.

Und wann es kam.

„Sie kommen“, obwohl er nur flüsterte hielten die Offiziere inne. Aus dem Nebel brach etwas hervor.

Eine undefinierbare Masse aus Kreaturen ergoss auf ganzer Breite auf die Ebene. Sie standen so dicht beisammen, dass es schien sie wären nur ein Körper. Klauen, Schilde, Schwerter, Panzer, Fleisch und Knochen. Alles zuckte wild durcheinander und doch zusammen.

Die Hörner der Soldaten erklangen, dann folgten die Schreie der Kreaturen. Sie stürmten los und die Schlacht entbrannte.

Der Herold zog seine Waffe, was Freude und Jubel unter den Soldaten entfachte.  Unter ihrem lauten Beifall flogen die ersten Pfeile und Speere um die vorderste Welle der Angreifer zu begrüßen. Dutzende fielen zuckend oder Tod zu Boden, aber die Masse nahm es nicht zu Kenntnis. Sie schwabte einfach über die Gefallenen hinweg um dann mit einem feuchten Klatschen gegen die Mauer des Walls zu branden. Jene die nicht zerquetscht wurden versuchen mit Händen und Klauen hinaufzusteigen.

Für einige Augenblicke war dies das einzige was man hören konnte. Das Scharben, das feuchte Krachen und die Rufe der Soldaten. Dann mischte sich ein neuer Ton in die Kakophonie der Schlacht. Unmenschliche, schmerzerfüllte Schreie. An vielen Stellen des Walls standen große Kübel voller kochendem Teer die nun mit johlenden Ausrufen umgekippt wurden. Flüssiges Schwarz traf auf festes Schwarz und brannte es hinfort.

„Herr!“ rief jemand.

Der Herold sah sich um, dann fand er den Blick des Kommandanten.

„Was?“ es fiel im schwer die Schreie zu übertönen.

„Dieser wundervolle Sieg, diese große Schlacht,“ die Freude in der Stimme des Kommandanten passte nicht zum Rest „Wie werden wir Sie nennen?“

„Was?“ der Herold war völlig irritiert.

„Ein Name, diese Schlacht braucht einen Namen.“

Trauer und Übelkeit überkamen den Herold, als er das hörte. Aber was sollte der arme Mann auch anderes sagen, wusste er es doch nicht besser. Allerdings war da noch etwas anderes, das plötzlich an seinen Gedanken zerrte.

Name.

Dieses Wort. Dieses Konzept. Es war vertraut, aber doch fremd. Er fühlte, dass er wusste was es war und bedeutete, aber sein Verstand wollte sich keinen Reim darauf machen. Irgendetwas hinderte ihn daran die Erkenntnis zu machen, was sich hinter dem Begriff verbarg.

Entsetzte Schreie holten ihn wieder in die Schlacht zurück.

Von irgendwo aus dem Nebel schossen lodernde Kugeln hervor.

„Von den Türmen weg!“ brüllte er über den Kampflärm, doch wie immer war es zu spät.

Die Geschosse schlugen in einen der großen Türme ein. Ohrenbetäubendes Krachen erklang, als der Stein brach. Flammen loderten auf, leckten an den Seiten gen Himmel. In den ersten Augenblicken konnte sich der Turm halten, doch immer mehr Geschosse trafen ihn bis er den nachgab. Wie ein betrunkener Riese kippte er mit lautem Tosen zur Seite, in die Reihen der Angreifer. Feuer und Stein fielen ihnen entgegen, als würde der Turm in einem letzten Akt der Rache noch so viele von ihnen wie möglich mitnehmen wollen.

Für einige Sekunden ebbte der Ansturm ab.

Genau solange wie es brauchte bis die Angreifer verstanden hatten das sie nun eine Rampe hinauf zum Wehrgang hatten.

„Sammeln! Haltet die Linie!“ mit beiden Händen griff der Herold seinen Streithammer. Soldaten nahmen neben ihm ihre Positionen ein. Der Feind begann mit dem Sturm.

Das erste Blut vergoss der Herold. Mit einem kraftvollen Schwung seines Hammers zertrümmerte er den Schädel eines Angreifers. Schwarzes Blut und klebrige Masse spritzen hervor und besudelten das goldene Metall seiner Rüstung. Inspiriert von diesem kurzen, klaren Kampf stürzten sich die Soldaten auf den Feind. Zu viele Leiber trafen auf zu wenig Platz auf einander. Es entbrannte ein wilder, chaotischer Kampf der allen das Zeitgefühl nahm. Welle um Welle der Angreifer traf auf die Linie des Herolds und wurde aufgerieben. Wie ein Wall aus Menschen hielten sie den Feind ab. Aber dies war auch das einzige Schlachtenglück.

Immer wieder gab es lautes Tosen. Der Gegner schlug neue Breschen in den Wall. Mehr Soldaten sammelten sich um den Herold da ihre Positionen überrannt wurden und bald waren sie umringt. Unzählige Feinde waren erschlagen worden und ihr Blut färbte den Boden schwarz, aber sie hörten nicht auf. Die Männer kämpften tapfer und mutig, aber ihre Lage war aussichtslos. Und der Herold wusste was nun kam. Er sah den Mut der Männer, aber auch die Verzweiflung die sich langsam in ihre Gesichter schlich. Dies war der Moment in dem Sie kam. Er senkte den Kopf.

Der Kampf war plötzlich vorbei. Eine erdrückende Präsenz legte sich über alles. Sie erstickte alles außer der Verzweiflung.

„Wie sehr ich diesen Moment genieße“, ihre Stimme schnitt in seinen Verstand.

„Beende es einfach“, der Herold sah nur ihren Schatten. Mehr wollte auch nicht sehen. Er hatte den Fehler einmal gemacht und wäre beinah zerbrochen.

„Nein, nein. Das köstlichste kommt doch erst noch“, die Vorfreude in ihrer Stimme war unüberhörbar.

Der Schlachtenlärm war verklungen, der Feind einfach weg. Was blieb waren die Soldaten, die jammernd auf dem Boden lagen.

„Herr! Was geschieht hier?“ die Stimme des Kommandanten zitterte „Wer ist Sie? Wo ist der Feind?“

„Ja!“ sagte sie begeistert „Erklärt es ihm!“

„Nein“, die Lippen des Herolds waren wie Wüsten.

„Nein?“ sie lachte „Habt ihr jetzt schon nicht mehr den Mut dazu?“

Der Herold seufzte.

„Sie eine Dämonin, Männer. Eine Herrin der Verzweiflung.“

Entsetzen machte sich breit.

„Ganz recht, Sterbliche. Und ihr seid in meiner Domäne“, Es dauerte einige Augenblicke bis sie verstanden was es hieß.

„Warum?“ die Angst des Kommandanten war furchtbar.

„Als Strafe“, sagte die Dämonin.

„Strafe? Wofür?“

„Es ist meine Strafe“, der Herold schluckte schwer.

„Und ihr seid ein Teil dieser Strafe“, ergänzte die Dämonin zuckersüß.

Ungläubig und verständnislos sahen die Soldaten den Herold an. Niemand wagte ein Wort zu sagen.

„Euer Herold hat sich den Unbill der Götter zugezogen. Als er zu dieser Schlacht am Wall rief, handelte er auf eigne Faust und löste damit überhaupt erst diese Schlacht aus“, sie seufzte überzogen „Eine Schlacht die es nie hätte geben sollen und die ihr verloren habt. Genauso wie alles was ihr schützen wolltet.“

Wehklagen erklang wie ein lauer Wind. Von irgendwoher kam unstetes Jammern.

„Ich wollte doch nur…“, der Herold konnte nicht mehr reden.

„Die Götter verstießen ihn und als Strafe soll er auf ewig diese Schmach erfahren“, sie lachte leise.

„Aber wieso sind wir dann hier?“ der Kommandant rang um Fassung.

„Damit er bereut.“

Der Herold schloss die Augen.

„Er soll sehen, wozu er euch in seiner Anmaßung verdammt hat. Nur die Niederlage zu erleben sollte nicht reichen, er soll spüren was Leid ist“, sagte sie voller Genugtuung.

„Wie können die Götter…“, dem Kommandanten versagte die Stimme.

„Das zulassen? Eure Götter interessieren sich nur für eines und das ist Anbetung, die ihnen selbst hier zu Teil wird.“

Der Herold wusste, dass er etwas sagen sollte, aber er konnte es nicht. Nicht wieder, nicht jetzt.

„Dabei waren Sie noch gnädig zu euch“, ihre Worte klangen wie Hohn „Ihr dürft jedes Mal vergessen was geschah.“

Er spürte, dass sie nun vor ihm stand.

„Er hingegen erinnert sich immer an alles. An all die hunderte Male die er hier schon erlebt hat und an die Unendlichkeit die vor ihm liegt, bis er soweit an eurem Leid gebrochen ist das er nicht mehr sein kann.“ sie hauchte ihn an „Und dann wird alles was ihr wart vergessen sein.“

Die Soldaten schrien, fluchten, weinten und klagten ihn an. Sie konnten nicht fassen wozu sie verdammt waren, dass sie von allem woran sie glaubte betrogen worden waren. Und das er Schuld daran war. Endlose Minuten ließ sie die Männer ihre Verzweiflung kund tun, während sie sich daran labte.

„Köstlich oder?“ hauchte sie „Los, schenk mir erneut das Vergnügen.“

Sie strich mit einer kalten Hand über seine Wange.

Als er die Augen öffnete ging eine graue Sonne auf, die das Land in ein kränkliches Licht tauchte.

 

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