Die Saga der Zeitalter

 

Buch 1: Der Dolchstoss

 

„[…] Nach dem Ende des großen Krieges, auch als „Krieg der Befreier“ bekannt, zogen sich die verbleibenden Drachen in das bergige Land zurück, dass sie Lyn-Azzad nannten. Ihre Verbündeten, die Aeng-Thiban, ließen sie in ihren Marschen und Sümpfen zurück, dem Zorn der Menschen und Elfen, die über Jahrhunderte unter ihre Knute gelitten haben, ausgesetzt. Aus dem Reich der Drachen und Aeng-Thiban wurden jene dreizehn Länder, die wir heute auf dem Kontinent Trianem kennen. Das große und stolze Freylandt, die prächtigen Handelsstädte des Blaumeerer Bundes, die düsteren Katakomben Dûr-Khaz Nems, um nur einige zu nennen.

Von allen wurde das neue Zeitalter als ein Zeitalter des Friedens, Wohlstandes und der Freiheit begrüsst. Befreit von ihren Unterdrückern, konnten sich die Völker endlich so entfalten, wie sie es sich wünschten. Bildeten Staaten und Städte, in denen sie ihren Vorstellungen nachgingen und ihren lange unterdrückten Glauben ausüben konnten. Aus den Ruinen Trianems erhoben sich alsbald prächtige Bauten und stolze Völkergemeinden. Um dieser neuen Ära Ausdruck zu verleihen, nannte man es das „Erste Zeitalter“. Das erste Zeitalter in dem Menschen, Elfen, Halblinge und alle anderen Völker frei und ohne Angst leben konnten. Doch die Euphorie über dieses Zeitalter hielt nicht lange, denn schon wenige Jahrzehnte später brachen Konflikte aus, die schon kurz nach dem Ende des großen Krieges keimten. Unterschiedliche Vorstellungen, Religionen und Lebensweisen trafen aufeinander und eine jede Ideologie hielt sich selber für die Beste. Doch trotz dieser Konflikte gelange es den Völkern drei Jahrhunderte in einem relativen Frieden das erste Zeitalter zu verbringen. Bis zu einem Ereignis, dass als der Dolchstoss bekannte werden sollte […]“

Einleitung der Niederschrift „Die kurze Geschichte der langen Zeitalter“

des Allgelehrten Abertanus Brandt von Maegra.

 

Prolog

 

Wie ein Tuch aus schwarzem Samt lag die Nacht über der Welt und schien alles zu verschlucken, was sie hätte erhellen können. Dicke Wolkenbänder zogen über den Himmel, versteckten die Sterne und beide Monde wie eine Decke, die ein Kind über den Kopf zog. Ein kühler Wind trieb die Wolkenbänder gen Westen und ließ die wenigen Bäume, die sich auf der Ebene unter ihnen befanden, mit ihren Blättern rascheln. Das Gras wog sich sanft, als wolle es sich unter der dicken Wolkendecke zu Schlaf legen und der Wind, der leise flüsternd wehte, schien ihm ein Lied zu singen. Ein Lied, das es beruhigen sollte und eine Decke, die es vor dem verstecken sollte, was sich in der Ebene abspielte.

Ein lauter Schrei, erfüllt von Schmerz und Verzweifelung zerriss die friedliche Ruhe der Ebene und schrecke die Vögel auf, die sich in den knorrigen Baumkronen niedergelassen hatten. Kurz und intensiv schallte er über das Grasland und verklang um vom schweren Schnauben eines Pferdes gefolgt zu werden. Erdbrocken spritzen zur Seite, wo die eisenbeschlagenen Hufe des Pferdes hintraten, kleine Dampfwolken bildeten sich in der kalten Nacht vor seinem Maul, da es schwer atmete und bis an sein äußerstes belastet war. Doch seinen Reiter schien dies nicht zu kümmern, er trieb sein Pferd unnachgiebig an und warf immer wieder Blicke nach hinten. In die Dunkelheit der Ebene, aus der jener qualvolle Schrei kam. Als er Nichts sah, wandte er seinen Blick wieder nach vorne und sprach leise ein Gebet für jenen Mann, dem dieser Todesschrei gehört hatte.

Lord General Theremas wusste nun, dass der letzte Mann aus seiner Leibgarde tot war, doch bedauerte er dies nicht. Die zehn Männer, die er bei der überhasteten Abreise aus der Wallfeste Emgarch um sich versammelt hatte, waren die tapfersten und mutigsten Soldaten des Regimentes gewesen. Er hatte ihnen allen einen Todeseid abgenommen, um sie wissen zu lassen das ihre Missionen sehr gefährlich sein würde. Nun hatte sie ihren Eid erfüllt, ihren Dienst für Freylandt getan. Ein guter Tod, wie Theremas fand. Dennoch war er nicht sicher, ob ihr Opfer seinen Häscher lange genug aufgehalten hatte, um seine Missionen zu beenden. Vorsichtig tastete er nach dem ledernen Beutel, der an seinem Gürtel hing und in dem sich einige Schriftrollen befanden. Als seine Hand ihn dort fühlte, nahm er wieder den Zügel in selbige und trieb sein Pferd erneut an, schneller zu reiten. In der Ferne, dort wo sich langsam Bäume am Horizont seines Sichtfeldes auftaten, konnte er schon die Lichter von Wallstadt sehen. Der befestigten Großstadt Freylandts und dem Sitz der Armee, die die Grenze zu Dûr-Khaz Nem sicherte. Bald würde er in Sicherheit sein und die Nachrichten überbringen, die über die Zukunft Freylandts entscheiden konnten. Auch wenn er während des ganzen Ritts von Emgarch bis Wallstadt bisher keine Angst verspürte hatte, so schlich sie sich ausgerechnet jetzt, so kurz vor dem Ziel, in sein Herz. Seine Leibgarde war tot und er selber hatte nur wenig Rüstung angelegt, um schneller reiten zu können. Zwar trug er einen breiten Schild mit dem Zeichen seines Ordens, einer goldenen Faust, die auf der Brust eines silbernen Falken lag, aber dennoch fühlte er sich verletzbar und ungeschützt. Die leichte Kettenrüstung wollte ihm kein Gefühl von Schutz vermitteln.

Wieder blickte er hinter sich, doch sah er nur die dunkle Leere der Ebene. Seine blauen Augen wandten sich dem Weg vor ihm zu, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Etwas Großes und dunkles, dunkler noch als die Nacht selbst, zog geräuschlos an ihm vorbei. Kaum hatte sein Verstand erfasst was es war, fing sein Pferd an zu bocken und bremste seinen schnellen Lauf schlagartig. Theremas brauchte all seine Kraft um nicht vornüber von seinem Ross zu fallen. Er spürte wie er ein Stück aus dem Sattel gehoben wurde und plötzlich wieder in selbigen gepresst wurde, als sein Pferd sich aufbäumte. Schnell verlagerte er sein Gewicht und zog sich, mit seinen vor Schmerz brennenden Armen, an sein Pferd.

„Ruhig, ruhig.“ Versuchte er das Pferd zu besänftigen und erhaschte einen Blick von der Kreatur vor sich. Ein riesiger schwarzer Schemen, in dem nur zwei rot glühende Punkte brannten, ragte vor ihm auf. Es dauerte einige Sekunden, bis seine Augen die Nacht und das dunkle Wesen voneinander trennen konnten. Die Kreatur war mindestens dreimal so groß wie er und hatte einen langen Hals mit einem Kopf, der wie ein Dreieck wirkte. Sein Körper war schlank und besaß vier kurze Beine, die in obsidianfarbenen Krallen endeten, die so scharf zu sein schienen, dass sie selbst den Wind zerschneiden konnten. Ein langer Schwanz, der hin und her wog, vollendete das Bild des Schattendrachens, der vor Theremas aufragte und ihn mit seinen rot glühenden Augen anstarrte. Das Pferd schien sich wieder beruhigt zu haben und Theremas sprang von ihm ab, nahm den großen, an beiden Enden flachen, goldenen Streithammer von der Satteltasche und blickte zu dem Drachen auf. Er wusste, dass er seinen Ritt nun nicht mehr fortsetzen konnte ohne zu kämpfen. Der Drache war weitaus schneller als sein Pferd und würde er reiten, wäre er nur ein leichtes Ziel für seinen Häscher. Den Hammer in der Rechten und seinen Schild, den er vom Rücken abnahm in der Linken, stellte er sich vor die dunkle Kreatur, die jedoch völlig ruhig blieb und keinerlei Anstalten machte ihn anzugreifen.

„Was ist, Schattendrache? Fürchtest du den rechtschaffenden Zorn eines Paladins des Aoz? Du hast meine Männer getötet, dafür werde ich dich läutern du Kreatur der Dunkelheit!“

Theremas tat einen Schritt nach vorne und wappnete sich für den Angriff auf den Drachen, er erwartet keine Antwort von der Kreatur und bereitete sich geistig auf den Kampf vor. Er wusste, dass er nur eine einzige Chance haben würde eine solche Bestie zu besiegen, bevor sie ihm den Kopf abbiss. Sein Schild musste immer oben bleiben, sein Hammer durfte das Ziel nicht verfehlen. Alles rekapitulierend was er in den Jahren des Kampfes gelernt hatte, bewegte er sich auf den Drachen zu, der noch immer Still hielt. Und zu Theremas Verwunderung bekam er sogar plötzlich eine Antwort.

„Nicht der Drache, sondern ich habe deine Männer getötet.“ sagte eine Stimme hinter ihm, die kalt und schneidend wie ein Winterwind war. Theremas wirbelte herum, wie konnte es sein, dass der Ordensherr des Ordens des gerechten Zorns von Aoz, ein Veteran von unzähligen Schlachten nicht gemerkt hatte, dass er einen Feind im Rücken hatte. Hatte er sich etwas zu sehr von dem Drachen ablenken lassen? Ließen seine Instinkte nach? Die Gedanken ablegend, schüttelte Theremas den Kopf und blickte seinen neuen Kontrahenten an und blinzelte verwirrt. Kurz durchbrach einer der Monde die Wolken und tauchte die Ebene in Zwielicht. Vor ihm stand eine Frau von fast zwei Metern Größe, deren ganzer Körper in tiefrotes Leder gehüllt zu sein schien. Der Körper war schlank, aber kräftig gebaut und besaß nicht zu übersehende weibliche Reize. Offenes schwarzes Haar schien ihr wie flüssiger Schatten über die Schultern zu laufen, ihr Gesicht war weiß, makellos, schmal mit hohen Wangenknochen die von einer unheimlichen Eleganz zeugten und einen starken Kontrast zum Rest ihrer Erscheinung boten. Sie wirkte unnahbar, kühl aber dennoch attraktiv und anziehend, wären nicht ihre Augen gewesen. Weiße Kugeln, die sich in ihren Augenhöhlen befanden und keinerlei Spur von Leben oder Gefühlen aufwiesen.

„Dies also schickt mir Dûr-Khaz Nem als Häscher. Eine untote, von verderblichen Ritualen am leben gehaltene Meuchlerin! Wer oder was bist du Kreatur und was soll dieser Drachen hier, ist er dein Meister?“ schrie Theremas, in dem sich Wut aufbaute, angesichts der Untoten.

„Ich bin Nemdrâ und dieser Drachen ist mein Reittier, nicht mein Meister.“ ein sardonisches Lächeln umgab ihre toten Lippen „Und ihr seid tot.“

Theremas wollte lachen, als er die selbstsichere Arroganz in der Stimme der Untoten hörte und über die Vorstellung, einen Drachen als Reittier zu haben, doch er kam nicht dazu. In einer schnellen, fließenden Bewegung stieß die Untote nach vorn und hieb mit ihrer Hand nach ihm. Überrascht von der Geschwindigkeit reagierte Theremas zu spät und musste einen Schlag auf den Brustkorb einstecken, der mit einer Wucht traf, die in keinem Verhältnis zum Körper der Untoten stand. Er stemmte sich mit aller Kraft, die in seinen Beinen lag, gegen die Wucht des Schlages und hieb mit dem Hammer nach seiner Gegnerin. Diese jedoch reagierte übermenschlich schnell, sprang einen guten Meter zurück und fixierte ihn mit ihren toten Augen.

„Man hat dich mit mächtiger Magie versehen, wie ich sehe, untote Kreatur! Doch dies wird nicht reichen, mein Glauben ist mein Schild und mein Zorn die Waffe, die dich zerschmettern wird!“ schrie er ihr entgegen.

Theremas legte seinen Schild vor sich und sprang auf Nemdrâ zu, den Streithammer zum Angriff bereit, führte er mit seinem Schild einen nach links gerichteten Schlag gegen die Untote. Wie er es erwartet hatte, wich sie in einer schnellen Bewegung nach rechts aus, genau in den später angesetzten Hieb seines goldenen Streithammers. Der Hammer raste in einer von unten angesetzten Bewegung nach oben und sollte die Untote treffen, doch diese ließ ihren Körper nach hinten fallen und entging so dem Schlag. Die Arme nach hingestreckt stemmte sie sich auf die Hände und nutzte die Kraft die ihr Körper beim fallen aufbaute, um ihre Beine hochzureißen und einen rückwärts Salto zu vollführen, wobei sie mit einem ihren stiefelbewehrten Beine einen brutalen Treffer in Theremas vernarbtem Gesicht landen konnte. Dessen Kopf wurde zur Seite geschlagen und ein rotes Rinnsaal lief ihm aus dem Mundwinkel. Als der Salto vollendete war, stand Nemdrâ wieder auf den Beinen, während Theremas leicht schwankend nach hinten schritt. Im laufe der Jahre hatte er viele Treffer in sein Gesicht erhalten, was die Narben deutlich zeigten, aber dieser Tritt hatte ihn beinah von den Füssen geholt. Er musste sich eingestehen, dass die Untote weitaus kräftiger war, als es ihr Körper vermuten ließ. Nemdrâ ließ ihm keine Gelegenheit zum überlegen, sondern sprang wieder nach vorne und setzte mit einer grade Rechten gegen Theremas an, der sein Schild hob und ihren Schlag darauf niedergehen ließ. Er hörte wie ihre Knochen brachen als sie auf das gehärtete Metal schlugen und lächelte zufrieden. Doch anstatt die Chance zu nutzen, täuschte er einen Schlag an und riss grade noch rechtzeitig seinen Schild hoch um die Linke ebenfalls gegen seinen Schild krachen zu lassen. Er hatte geahnt, dass Nemdrâ nach diesem Schlag eine weitere Attacke gegen ihn führen würde und ließ diese gekonnt gegen seinen Schild laufen. Ein Mensch hätte sich aufgrund der Schmerzen einer gebrochenen Hand sicher nicht so verhalten und seinen Gegner grade dazu eingeladen einen Angriff zu führen, aber Nemdrâ war kein Mensch und Schmerzen waren ihr sicher unbekannt. Theremas ließ seinen Schild fallen und hieb von oben herab, wie ein Richter, auf Nemdrâs Kopf, die ihre beiden anscheinend nutzlosen Hände schüttelte, und traf sie diesmal mit aller härte. Laut knackte ihr Schädel und der Körper sackte zusammen. Kaum hatte der Hammer getroffen versetze er ihr einen kräftigen Tritt in die Magengegend und beförderte sie so ein gutes Stück von sich weg, worauf hin Nemdrâ reglos am Boden liegen blieb. Blutigen Speichel ausspuckend hob Theremas seinen Schild wieder auf und betrachtete die sich nun aufrappelnde Frau mit Abscheu. Ihm war klar, dass eine Untote sich nicht so leicht endgültig töten lassen würde, aber dennoch war er zufrieden. Auch Untote unterlagen bestimmten Gesetzen und gebrochene Knochen brauchten lange um zu heilen. Theremas nahm ein wenig Anlauf und bewegte seinen massigen Körper nach vorne, holte Schwung mit seinem rechten Arm und versetzte Nemdrâ einen donnernden Schlag gegen den Unterkiefer. Lautes Knacken ertönte, als der Kopf der Untoten nach hinten geschleudert wurde und in einem unnatürlichen Winkel gegen ihren eignen Rücken prallte. Siegessicher ging Theremas an der nun zusammengesackten Untoten vorbei und lächelte zufrieden. Er hatte seine Männer beinah gerecht, es musste nur noch eine läuternde Litanei gesprochen und seine Waffe durch die Gunst Aoz gesegnet werden. Dann konnte er die Kreatur der Todeskorrumpierer Dûr-Khaz Nems vernichten.

„Wie konnte es nur sein, dass meine Männer gegen dich verloren haben untoter Abschaum. Ich werde dich in die Höllen schicken, aus denen du…“ er drehte sich um und wollte sein Werk betrachten, doch musste er feststellen das Nemdrâ wieder auf den Beinen war. Mit einem widerlichen, feuchten Geräusch renkte sie ihren Kopf wieder ein. Die Hände schienen wieder verheilt zu sein, so wie der Rest der Kreatur. Sie wirkte, als hätte es überhaupt keinen Kampf gegeben.

„Unmöglich! Ich habe dir deinen Schädel zertrümmert, selbst Untote vermögen dies nicht zu heilen! Was ist das für ein übles Spiel hier?“ brüllte Theremas wütend.

„Eines, das nun vorbei ist.“ antwortete sie mit Eiseskälte in der Stimme.

Nemdrâ sah Theremas an und schenkte ihm ein Lächeln, das sein Blut gefrieren ließ. Sie war vollständig genesen, binnen weniger Augenblicke und ihre weißes, schönes aber grausames Gesicht lächelte ihn an wie der Tod selbst. Theremas wappnete sich erneut zum Kampf, er rezitierte ein Gebet in dem er Aoz, den obersten der drei Götter Freylandts, um Beistand bat und hob seinen Schild. Doch dann geschah etwas, was er nicht verstand.

Die Untote vor ihm schien mit ihrer Rechten nach etwas unsichtbarem zu greifen und auf einmal bildeten sich purpurne Ranken um ihre Hand. Ein Gegenstand, eine Waffe, platzte plötzlich aus der grade entstandenen purpurfarbenen Wolke hervor und lag in ihrer Rechten. Die Waffe war ein zweischneidiges Schwert, dessen Griff in seiner Mitte lag. Die Klingen waren jede mindestens einen halben Meter lang und hatten Ähnlichkeiten mit den Schwingen eines Vogels, nach aussen gewölbte Klingenblätter die in der Mitte wieder einbrachen und sich nach innen wölbten. Sie waren schwarz und mit fremdartigen, lila leuchtenden Symbolen und Inschriften versehen, die Theremas in den Augen schmerzten. Der Griff in der Mitte war von einer kleinen Parierscheibe geschützt, auf der ein blau leuchtendes Zeichen zu sehen war. Ein Kreis in dessen Fläche ein Hammer prangte, der aber anstatt zweier flacher Seiten dämonische Fratzen trug. Die Waffe war abschreckend, aber elegant und ihre leuchtenden Symbole schienen beinah lebendig zu pulsieren.

„Bei den Göttern, was ist das?“ stammelte Theremas verwirrt.

Doch anstatt zu antworten schnellte Nemdrâ nach vorne und vollzog einen einfachen, von unten angesetzten Hieb. Theremas hörte etwas Seltsames und plötzlich sah oder vielmehr erlebte er, wie sein Sichtfeld auseinander ging. Als würde der Abstand zwischen seinen Augen immer größer werden und dann begriff er. Ein letztes Mal in seinem Leben begriff er etwas. Mit einem einzigen Hieb hatte die Untote ihn zweigeteilt, wie ein Stück Fleisch. Trotz seines Schilde und seiner leichten Rüstung war die Klinge, die sie beschworen hatte, einfach durch ihn hindurch gegangen.

Nemdrâ stand ruhig da und betrachtete ihr Werk. Die beiden Hälften des Lord Generals klatschten feucht zu Boden, dass warme Blut und die Innereien dampften in der kalten Luft. Streitkolben und Schild fielen scheppernd zu Boden. Ein bläuliches und lilafarbenes Schimmern umspielte kurz ihre Waffe, die dabei zu vibrieren begann. Als es aufhörte entließ Nemdrâ die Klinge aus ihrem Dienst worauf diese in einer purpurnen Wolke verschwand, bis sie erneut gerufen werden würde. Sie ging einen Schritt nach vorne um die dampfenden Überreste des Paladins mit ihren blutroten Stiefeln auseinander zu drücken, dann kniete sie sich nieder und nahm der Leiche einen ledernen Beutel ab, der vor Blut troff. Sie überprüfte kurz den Inhalt und machte ihn dann an ihrem Gürtel fest. Ihr Auftrag war erledigt und zu ihrem Leidwesen war der Kampf gegen den Lord General nicht so anspruchsvoll gewesen, wie sie es sich erhofft hatte. Anfangs war er noch recht interessant, doch seine ständigen Ausrufe hatten sie gestört und sein Kampfstil war eher ermüdend gewesen. Keine Leidenschaft, keine Innovation sondern nur strenges Angreifen und Parieren, aber was sollte man schon von einem Paladin erwarten. Nemdrâ lächelte kalt und ging zu ihrem Drachen. Sie war zwar untot, aber dennoch konnte sie eine Herausforderung im Kampf erwarten. Auch wenn sie sich sicher war, dass es niemanden gab der sie besiegen konnte. In einer schnellen Bewegung schwang sie sich auf ihren Schattendrachen, der sich in den wieder dunklen Himmel erhob, um dann in Richtung der Berge und des schwarzen Walls zu verschwinden.

 

Kapitel 1

 

„Arthea, die prächtige und wunderschöne Hauptstadt unseres geliebten Freylandts. Ein Kleinod der Götter auf unserer sterblichen Welt. Der Puls des Reiches, an der Ader unseres Landes. Wäre sie eine Maid, mit all ihrer Pracht und Schönheit, ich würde sie um ihre Hand bitten.“

- anonymer Künstler, Gravur an der Stadtmauer.

 

Durch ein Pferdefuhrwerk aufgeschreckt erhob sich die dicke Taube von ihrem Brotkrummenmahl und stieg in die Luft über Arthea auf. Den Wagen unter sich lassend flog das behäbige Tier über die prachtvolle Hauptstadt Freylandts, die sich an der großen Gabelung des mächtigen Flusses Trian befand. Über die Jahrhunderte hinweg in denen es sie gab, ist die Stadt der Menschen soweit gewachsen, dass sie sich nun mehrere Kilometer um die einstige Insel in der Mitte der Gabelung erstreckte und dreimal ihre eigne Stadtmauer verlegen musste, um ihren Bewohnern Schutz zu bieten. Gerade gepflasterte Alleen durchzogen die Viertel der Stadt, die aus unzähligen Fachwerkhäusern bestanden, wie Speichen an einem Rad. In regelmäßigen Abständen gab es kleinere Plätze an den Straßen, die als Markt oder Versammlungsort dienten. Meist grenzten an diese Plätze je drei kleinere Tempel an, in denen die Menschen Gebete und Andacht abhalten konnten. Von diesen kleinen Plätzen gingen Querstraßen ab, die die einzelnen großen Alleen miteinander verbanden. Im Großen und Ganzen sah die Stadt überall gleich aus. Wohnhäuser, Geschäfte und Handwerkshäuser prägten ihr Bild. Die Straßen waren sauber und voller Menschen, die ihrem Tagewerk nachgingen. Einige Reste der alten Stadtmauern standen noch und waren zu kleinen Garnisonen umfunktioniert wurden, in denen Soldaten und Wachmänner ihren Dienst verrichteten. Auf ihren Dächern waren große Banner mit dem Zeichen Freylandts, die im Wind flatterten. Doch je näher man dem alten Zentrum der Stadt kam umso mehr änderte sich das Bild. Aus den einfachen Fachwerkhäusern wurden große Villen, mit Gärten und Umzäunung. Die Alleen wurden von Bäumen flankiert, kleine Brunnen und Parks zierten die Plätze an den Kreuzungen. Doch je nachdem wie die Sonne stand, verschwanden all diese Zierbauten im Schatten. Nahe dem Fluss erhobt sich eine mächtige Burg mit acht hohen Türmen, breiten Mauern und einem gewaltigen Burgfried, der wie ein stufenartiger Fels aufragt an dessen Seiten mächtige silberne Symbole prangten. Die Festung Thalamea, benannt nach der Göttin des Schutzes, gab sich keine Muhe elegant zu erscheinen oder ihre Grobschlächtigkeit zu verstecken. Sie war ein Bollwerk und diente dem Schutz des Königs und seines Gefolges. Ihre Meter dicken Mauern waren aus dem härtesten Stein des Reiches. ihre Türme waren gespickt mit Balisten und anderen Waffen, die man gegen Angreifer richten konnte. In ihrem Hof konnte man hunderte von Soldaten versammeln und durch das gewaltige Tor schicken, dass sich in ihrer Mauer befand. Mindestens zwanzig Meter hoch und mit drei, durch Kleriker gesegneten, stählernen Fallgittern und einer mächtigen Tür aus mit Sonnenstahl beschlagenem Steinholz gesichert. Das Haupthaus selbst war eine Festung in der Festung. Dicke Wände und stählerne Türen sollten es einem jeden unmöglich machen dort einzudringen. Unzählige Kammern mit Waffen und Soldaten lagen in diesen Mauern, in deren Mitte sich der große Kriegsraum befand. Ein Raum voller Karten, Standarten und Trophäen, der in Kriegszeiten vom König und seinen Generälen benutzt wurde.

Auf der anderen Seite des Flusses, gegenüber der mächtigen Festung, befand sich ein anderer großer Bau. Der Palast des Königs, die Legias Burg, benannt nach dem Gott des Rechtes, stand zwar in Sachen Größe weit hinter der Feste zurück, aber dafür war sie weitaus prächtiger und eleganter. Weiße Mauern umschlossen den Palast, dessen Äußeres von Säulengängen und Balkonen aus weißem Marmor geprägt war. Hell strahlend reflektierte der Marmor das Sonnenlicht und blendete einen jeden mit der einfachen Pracht des Palastes, für dessen Glanz ein Heer aus Reinigungskräften den ganzen Tag sorgte. Insgesamt gab es drei Etagen die sich wie eine Stufenförmige Pyramide nach oben fortsetzen und am Ende in einer flachen silbernen Kuppel ausliefen, auf deren Spitze eine Figur aus Gold stand, die den Gott Legias darstellen sollte.

Doch so ehrfurchtgebietend die mächtige Festung und so prachtvoll der Palast auch waren, beide wirkten nicht so beeindruckend wie die Kathedrale des Aoz. Dem großen Gebetshaus, das auf einer Insel stand welche sich inmitten der Flussgabelung befand. Auf jener Insel, die einst der Ursprung der Stadt war, stand nun das Herz Freylandts. Umgeben von Mauern, die fast so mächtig waren wie die der Festung Thalamea, lag der große Platz der Andacht, auf dem angeblich alle Einwohner Artheas Platz finden sollten. Und in der Mitte dieses Platzes erhob sich die Kathedrale, ein gewaltiger, vom Grundriss her recheckiger Bau, der annährend einen halben Kilometer in der Länge maß. Das Erdgeschoss war umgeben von unzähligen Säulen, eine jede mit Gebeten und Litaneien gesäumt, hinter denen sich die Eingangstüren zur Kathedrale befanden. Ihr folgten zwei Etagen, die wie Stufen auf dem Erdgeschoss lagen und mit kunstvollen kerzenförmigen Buntglas Fenstern versehen waren. Auf den Ecken der zweiten Etage standen riesige Figuren aus weißem Marmor, gerüstete Krieger mit mächtigen Standarten auf denen das Zeichen Aoz prangte und die seine sechs größten Herolde darstellten, ein jeder fast vierzig Meter hoch. In der rechten Hand hielten sie die großen Lanzen an denen die Banner befestigt waren und ihre Linke stützte sich auf riesige steinerne Schilde. Hüfthohe Mauern waren zwischen ihnen hochgezogen wurden in denen große Buntglas Fenster eingelassen waren, auf denen Szenen aus der Geschichte Freylandts gezeigt wurden. Diese Mauern endeten in einem ovalen Kuppeldach aus Gold, das mit feinen, silbernen Adern durchzogen war und in dessen Mitte sich eine runde Öffnung befand, aus der eine gleißend helle Lichtsäule gen Himmel schoss. Das Feuer von Aoz, dass größte Heiligtum der Menschen Freylandts. Egal wo man in der Stadt stand, man hatte immer einen Blick auf die mächtige Kathedrale, die immer im Lichte der obersten Gottheit zu sehen war. Ein monumentaler Bau, dessen Größe und Gewaltigkeit keinen Menschen an der Macht Aoz zweifeln ließ.

Die Taube jedoch lief sich nicht allzu sehr von dieser Pracht beeindrucken und setzte ihren Flug über die großen Prachtbauten fort. Langsam drehte sie im Winde bei und flog südwärts, in Richtung des großen Hafens der Stadt. Schiffe mit bunten Segeln hatten an den Piers festgemacht und wurden von großen Kranen und Hafenarbeitern entladen. Waren wurden in die riesigen Lagerhäuser der Stadt getragen, oder gleich über die mächtige Hafenzugbrücke in den Westteil der Stadt transportiert, wo die meisten Bewohner Artheas lebten. Das Hafenviertel lag zwischen den beiden Flussarmen des Trians und war das kleinste der drei Teile, in die man die Stadt unterteilt hatte. Es gab West-Arthea, wo mehr als drei viertel aller Bewohner lebten, Ost-Arthea oder auch Adelstadt, wie man es im Volksmund nannte, da dort die meisten Adelsfamilien und Kleriker lebten und das Hafenviertel mit seinen Markthallen und Lagerhäusern. Das Hafenviertel beherbergte sogar eines der wenigen Gebäude, das unter der Kontrolle eines anderen Reiches lag. Die Blaumeerer Loge. Eine Handelsniederlassung des Blaumeerer Bundes, deren Aussehen jeden erkennen ließ, wie reich die Städte des Bundes waren. Der große Rundbau stand protzig auf einem der vielen Plätze des Viertels und war mit bunten Fahnen geschmückt. Von aussen zwar nur einfaches Fachwerk, war das fünfstöckige Gebäude von innen mit teuersten Hölzern vertäfelt. Teppiche aus allen Reichen lagen auf dem Boden und Kunstwerke aus den fernsten Regionen zierten einen jeden Gang. Für die eher bescheidenen Menschen Freylandts ein Haus der Dekadenz und Übersättigung.

Erneut drehte sich die Taube im Winde und flog ein Stück zurück in den Norden der Stadt und begann mit einem mehr oder weniger eleganten Sinkflug. Ein paar Flügelschläge später landete sie auf einem der weißen Balkone des königlichen Palastes und putzte ihre Federkleid. Direkt vor den smaragdgrünen Augen eines Jägers, der nur auf seine Beute gewartet hatte. Die nichts ahnende Taube fixierend schlich der elegante Jäger langsam näher heran. Sein Atem war ruhig und konzentriert, sein mit Fangzähnen bewehrtes Maul halb offen, um der Taube schnell einen tödlichen Biss zu verpassen. Nur noch wenige Schritte trennten ihn von seiner Beute, die auf der Brüstung des Balkons sass. Er spannte seine Muskeln, konzentrierte seine Kraft in seinen Beinen, um mit einem gezielten und schnellen Sprung auf die Brüstung zu hechten. Die Krallen seiner Klauen ausgefahren, hieb er nach der Taube, um sie packen und beißen zu können, doch die Taube war schneller. Aufgescheucht flog sie los und ließ ihren Häscher unter sich, der nun auf dem glatten Marmor den Halt verlor, da seine Sprungkraft ins leere ging. Panisch versuchte er sich auf dem glatten Stein zu halten doch rutschte er weiter, genau gegen einen Blumenkübel, der durch seinen Aufprall ins Wanken geriet und hinab fiel. Scheppernd zerbarst der Kübel auf dem Boden und die Erde mitsamt der Pflanze, die zuvor in ihm war, verteilten sich zu einem Haufen aus Dreck. Erschrocken durch den Krach des zu Boden gefallenen Kübels schreckte Warnard an seinem Schreibtisch auf und blickte zum Balkon, wo er den orange-weiß getigerten Übeltäter sitzen sah.

„Frodwyn du dummer Kater, was hast du wieder angestellt? Wozu haben die Götter euch Katzen eigentlich erschaffen? Wenn ihr nicht grade schlaft oder fresst, macht ihr nur Unfug.“

Der Kater gab nur ein patziges miauen von sich, sprang vom Balkon und lief Richtung Bett, wo er sich nach der missglückten Jagd erstmal ein paar Stunden ausruhen musste. Warnard grinste und schüttelte nur den Kopf. Das Leben einer Katze war schon wirklich anstrengend, dachte sich der Prinz Freylandts und wandte sich wieder dem in Leder gebundenen Buch zu, das er auf seinem Schreibtisch liegen hatte. Der Kodex des Herold Adain Targant, der Leitfaden eines jeden Paladins, geschrieben vom ersten und höchsten Herold Aoz´s. Seit vier Jahren, seit seinem sechzehnten Lebensjahr, hatte er von diesem Moment geträumt. Er hatte das Kämpfen gelernt, er hatte das Recht und dessen Auslegung studiert und versucht zu erfahren, welche Last die Bürde der Führung bedeutet. Jeden Tag der letzten vier Jahre hatte er damit verbracht zu erfahren, was es bedeutete ein Paladin, ein Verteidiger und Richter der Götter zu sein. Und nun lag der Kodex vor ihm. Der erste Test um ein Initiand eines Paladinordens zu werden und er hatte keine Ahnung, was er nun tun sollte. Es war schon immer sein Traum gewesen, ein Paladin zu sein, ein Held in einer strahlenden Rüstung wie man sie aus den alten Legenden kannte. Sehr zum Leitwesen seines Vaters, der versuchte seinen einzigen Sohn darauf vorzubereiten das er eines Tages der König Freylandts sein würde und keine Zeit für Abenteuer oder Kämpfe am Schwarzen Wall hatte. Doch Warnard hatte sich nicht von seinem Ziel abbringen lassen und erlernte die Art und Weise, wie ein Paladin lebte. Sein Vater hatte ihm immer vorgeworfen, dass er ein Träumer wäre und die Orden strenge Auswahlkriterien hätten und selbst königliches Blut ablehnen konnten, wenn es nicht ihren Anforderungen gerecht werden würde. Doch anstatt entmutigt zu werden, spornte dies Warnard nur noch mehr an und nun lag der Kodex vor ihm. Ein jeder Initiand erhielt vom ersten Paladinorden Freylandts diesen Kodex, den es binnen eines Monats auswendig zu lernen galt. Nach diesem Monat wurde der Initiand in die Ordensburg Targerach zitiert, wo er geprüft werden würde, ob er den Kodex verinnerlicht und begriffen hatte. Bestand der Initiand diese Prüfung, so erhielt er das Recht, sich einem der vielen Orden Freylandts anschließen zu dürfen, insofern dieser Orden mit dem Initianten einverstanden war. Nur wäre es wirklich das Richtige, wenn er sich einem der Paladinorden anschloss. Wo er doch der einzige Thronfolger seines Vaters war und sein Schicksal einst darin liegen würde, das Volk Freylandts anzuführen. Ein lautes Hämmern an seiner Tür riss ihn aus seinen Gedanken.

„Herein.“ rief Warnard.

Die Tür öffnete sich und ein ihm wohlbekanntes schmales Gesicht schob sich hinter der dicken Holztür hervor. Ein junger Mann in seinem Alter mit kurzen braunen Haaren, grünen Augen und einem scheinbar ewig verschmitzen Lächeln auf den schmalen Lippen.

„Stimmt es was man sagt Warnard? Der Orden hat dir einen Kodex gesandt?“

„Komm her, dann kannst du dich selbst davon überzeugen Antiel.“

Antiel, Warnards ältester Freund und Cousin ging mit schnellem Schritt zum Schreibtisch und sah auf den Kodex herab. Er war von schlanker Statur, fast einen Kopf kleiner als Warnard und bei weitem nicht so muskulös gebaut wie dieser. Jedoch wohnte im eine große Eleganz inne und jede seiner Handlungen wirkte geplant und erhaben. Seine feingliedrigen Finger rieben über das Kinn und er wandte sich an seinen Cousin.

„Ich hatte ihn mir eindrucksvoller vorgestellt, so in etwa wie die goldenen Bücher des Legias.“ sagte er mit einem leichten Lächeln.

„Paladine sind eben bescheiden.“ antwortete Warnard grinsend.

„Ach, dies erklärt ihre prächtigen, verzierten Rüstungen, die goldenen Streithämmer und Heerscharren von Frauen, die ihnen zu Füßen liegen.“

Warnard warf Antiel einen scharfen Blick zu, musste dann aber lächeln da er auf eine gewisse Art und Weise Recht hatte. Paladine lebten zwar bescheiden, aber was ihr Kriegsgerät anging vergaßen sie jede Bescheidenheit.

„Weiß dein Vater schon davon?“ fragte Antiel.

„Ich denke schon, es geschieht Nichts im Palast, ohne dass er es erfährt. Vor allem nicht die Ankunft eines Gesandten eines Ordens, der mit seinem Sohn sprechen will.“

„Er wird sicher nicht sehr erfreut sein.“ gab Antiel zu bedenken.

„Nein, dass ist er in der Tat nicht.“ sagte eine Stimme, die wie knarrendes Holz klang und aus Richtung der Tür kam. Die beiden jungen Männer drehten sich herum und verbeugten sich vor der groß gewachsenen Gestalt.

„Vater.“

„König Ingard.“ sagte Antiel und nickte dabei respektvoll.

Der König von Freylandt nickte beiden zu und trat in das Zimmer seines Sohnes. Warnard war groß gewachsen, hatte breite Schultern und einen mehr als kräftig gebauten Körper der viele Männer vor Neid erblassen ließ, doch wirkte er klein neben seinem Vater. Ein hünenhafter Mann, der mehr als zwei Meter maß. Doch seine wahre Größe lag in seiner Ausstrahlung, die durch seine Rüstung verstärkt wurde. Eine prunkvolle Zierrüstung aus silbernem Metal umhüllte den Körper. Ihre Schulterstücke waren Büchern nachempfunden und mit Gebeten verziert, auf der Brustplatte prangte der goldene Sonnenhammer des Aoz und an den Schienenbeinschützern waren zwei kleine Klingen befestigt. Ein dunkelroter Mantel aus feinstem Stoff hing bis auf den Boden herab und sorgte für einen ehrgebietenden Kontrast. Die Rüstung wirkte mächtig, wie ein Bollwerk, doch sah man dem König ins Gesicht wusste man, dass dieses Bollwerk schon sehr alt war. Ein langer grauer Bart bedeckte einen großen Teil des von Narben zerfruchten Gesichts. Stählerne blaue Augen, denen man ihr Alter deutlich ansah, lagen unter einem weißen Haarkranz, der vor langer Zeit mal die Mähne eines jungen Mannes gewesen war. König Ingard von Kjargengaard war zwar kein Greis, aber sein Leben hatte Spuren hinterlassen. Kämpfe und Feste, Freuden und Entbehrungen. All dies war nicht spurlos an dem König vorüber gezogen und zu seinem Leidwesen, waren die leidlichen Aspekte seine treusten Begleiter in den letzten Jahren gewesen. Dennoch wohnte dem Mann etwas inne, das einen verstummen ließ und Respekt vor ihm erzeugte. Seine Erhabenheit schien wie ein Naturgesetz zu sein, dem sich niemand widersetzen konnte.

Ingard blickte auf den wuchtigen Schreibtisch aus hellem Edelholz und schloss kurz die Augen, dann ließ er seinen Blick durch das Zimmer wandern. Seit Warnard sich dazu entschieden hatte, Paladin zu werden, sah der Raum nicht mehr so eindrucksvoll und prächtig aus, wie er es hätte sein müssen. Ein paar einfache Holzschränke und Kommoden auf denen schlichte Kerzenständer standen, stellten den Großteil des Mobiliars dar. An der Wand vor dem Schreibtisch hing ein großes Wappen der Familie, ein rotes Banner auf dem ein schwarzer Falke zu sehen war, der auf einem Schild mit dem Streithammer des Aoz thronte. Die anderen Wände waren karg und zeigten nur den nackten Stein, bescheiden und einfach sollte es sein, so wie das Leben eines Paladins. Einzig das große Bett aus dunklem Bergmannholz, mit seinen Kissen und Decken, ließ auf ein wenig Komfort schließen.

„Du hast also deinen Kodex erhalten, mein Sohn. Und so wie ich dich kenne, willst du dich nun dem Prüfungsritus unterziehen.“ wandte sich Ingard an Warnard und ließ seinen Blick auf ihm ruhen.

„Vater, wir hatten dieses Gespräch schon so oft und du kennst meine Antwort. Ich werde mich einem der Orden anschließen und für Ehre und Recht kämpfen.“

Ingard nickte nur resigniert, er wusste das Warnard in dieser Sache nie nachgeben würde.

„Wie du meinst mein Sohn, ich will mich nicht mit dir streiten und dir so deine Freude an diesem Tage verderben. Wenn es sich jedoch einrichten lässt, lass uns heute Abend zusammen speisen, deine dir Versprochene ist in der Stadt und es würde mich sehr freuen, mit euch beiden zu essen.“

„Wie du wünschst Vater.“ Warnard lächelte leicht, da sein Vater nur ungern ohne Streit eine solche Diskussion beendete. Die Tatsache jedoch, dass seine Versprochene Xaria in der Stadt war, erklärte dies und wieso er das Gespräch beim gemeinsamen Essen fortsetzen wollte. Genau wie sein Vater war seine Ehefrau in Spe dagegen, dass Warnard sich einem Orden anschloss.

„Nun gut, ich werde euch beide denn wieder unter euch lassen.“ Ingard knickte nur knapp.

„Vater.“ entgegnete Warnard.

„König Ingard.“ Antiel versuchte so neutral und förmlich zu klingen, wie nur möglich.

Der König wandte sich zur Tür und verließ den spärlich eingerichteten Raum seines Sohnes. Ingard hasste es unverrichteter Dinge abzuziehen, aber für den Moment war es das Beste so. Als sich die Tür hinter ihm schloss sah Antiel seinen besten Freund fragend an.

„Was ist los mit ihm? Sonst gibt er doch auch nicht so einfach auf und eure Streitereien sind weitaus lauter um nicht zu sagen, der ganze Palast bekommt sie mit.“ Warnard zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht, aber vielleicht erhofft er sich heute Abend eine bessere taktische Lage zu haben.“ Er musste grinsen „Schließlich hat er ja eine Verbündete an der Front gegen mich.“

„Oh ja, eine äußerst überzeugende und verlockende, wenn du mich fragst.“ Antiel grinste Warnard an.

„Dies ist wohl wahr Cousin, aber das wird Nichts an meiner Entscheidung ändern. Ich verstehe es nicht, warum er sich so sehr dagegen sträubt, dass ich einem der Orden beitrete.“

„Er sorgt sich um dich, dass wird es wohl sein.“ sagte Antiel frei heraus.

Warnard sah seinen Cousin kurz an und nickte, ging hinaus auf den Balkon und ließ seinen Blick über die sich vor ihm ausbreitende Stadt wandern. Da der Palast auf einem kleinen Hügel stand, konnte man einen Großteil Artheas überblicken. Die mächtige Feste Thalamea lag genau in der Mitte seines Sichtfeldes.

„Sorgen? Worum sorgt er sich, dass mir etwas auf dem Felde zu stoßen könnte. Das ich verletzt oder getötet werde?“ er drehte sich zu Antiel um, der Anstalten machte etwas zu sagen, aber Warnard kam ihm zuvor.

„Er ist der König dieses Reiches, hat in unzähligen Schlachten mitgekämpft und die Banner Freylandts und unserer Familie mit vielen Siegen geehrt. Es war König Ingard von Kjargengaard, der vor nun fast dreißig Jahren Gargon den Seelenschlächter am schwarzen Wall besiegte. Und hatte er sich da um etwas gesorgt?“ eine Spur Gram lag in Warnards Stimme.

„Warnard…“ wollte sein Cousin ansetzen.

„Antiel, es ist unverständlich für mich, wieso er mich behandelt wie ein…“ Warnard dachte kurz nach „…rohes Ei. Ich habe das kämpfen erlernt und weiß, welche Schrecken mich in einer Schlacht erwarten.“

„Wirklich?“ fragte Antiel und Warnard blinzelte ihn entgeistert an.

„Wie meinst du das?“ konnte er nur fragen.

„Warnard du hast noch nie gegen wirkliche Feinde gekämpft. Du hast noch nie Leben genommen oder gesehen wie es genommen wird, geschweige denn, dass blutige Gemetzel einer Schlacht. Ausserdem ist es etwas anderes, als König hinten bei seinen Befehlshabern zu sitzen und die Schlacht zu leiten, denn als Paladin in ihren ersten Reihen zu stehen und zu kämpfen.“ Antiels freundliches Lächeln wich einer ernsten Miene.

Warnard ging an seinem Freund vorbei, nahm den Kodex vom Schreibtisch und betrachtete ihn einige Augenblicke lang.

„Warnard, er macht sich nur sorgen um dich. Du bist sein einziger Sohn, das einzige Kind, das er hat. Es ist deine Aufgabe Freylandt als zukünftiger König zu führen, nicht als Held in einer Schlacht zu sterben.“

Warnard fuhr sich mit seiner Rechten durch die halblangen schwarzen Haare und sah seinen Freund an. Er wusste das Antiel es nur Gut meinte, aber fühlte sich missverstanden von einem jeden um ihn herum.

„Du klingst wie er, weiß du das? Manchmal wünschte ich, ich wäre nicht der Prinz Freylandts. So stolz es mich auch macht, es legt einem mehr Steine in den Weg, als dass es Türen öffnet.“ er schüttelte leicht den Kopf.

Es herrschte einige Zeit lang Schweigen zwischen den beiden. Warnard betrachtete den Kodex während Antiel ihn beobachtete und sich fragte wieso sein Cousin sich verhielt, wie er es tat.

„Du weißt ich bin der letzte der dich nicht unterstützt. Ich habe mit dir geübt, wann ich nur konnte, dir Gesetzesbücher mitgebracht aus dem Legiastempel, in dem ich diene, aber denkst du nicht das du einem Kindheitstraum hinterher läufst?“ Antiel versuchte freundlich zu klingen, um den ernst der Worte zu verdecken.

„Was…?“ schockiert sah Warnard Antiel an.

„Seien wir doch mal ernst, du bist der zukünftige König dieses Landes und willst dich einem Orden anschließen, große Schlachten schlagen und Abendteuer erleben. Klingt dies nicht ein wenig wie der Traum eines Kindes?“ Antiel sah ihn an und fuhr dann fort „Unsere Geburtsränge zählen dort nicht, wo du hin gehen möchtest. Willst du Knappe und König zu gleich sein?“ Antiel sah Warnard auffordernd an, dem nur ein enttäuschtes Seufzen entfuhr.

„Hast du dich nun auch gegen mich verschworen? Als Paladin würde es meine Ehre gebieten unser Volk zu schützen. Stell dir vor, welch ein König ich wäre, wenn ich meine Armee nicht nur in die Schlacht sende, sondern sie an der Spitze führe.“ Feuereifer drang in seine Stimme und Warnards Augen begannen zu strahlen „Umgeben von den tapferen Soldaten Freylandts den Schrecken aus Dûr-Khaz Nem die Stirn bietend. Nicht nur im Palast sitzen und von großen Geschichten erzählen, sondern sie selber erschaffen und die Feinde Aoz niederstreckend einen Platz bei meinen Ahnen verdienen. Ist dies so verkehrt?“

„Sicher nicht, aber was wenn…“ doch Warnard unterbrach ihn.

„Aoz Segen wird mich leiten, mein Freund. Denkst du wirklich unser großer Gott würde mich einfach über die Klinge springen lassen, um mir zu zeigen, dass es besser gewesen wäre, im Palast durch das Alter zu sterben?“

Bei diesem Gedanken musste Antiel grinsen und legte Warnard eine Hand auf die Schulter. Manchmal kam es ihm so vor, als ob sein Freund nie gealtert wäre und immer noch ein Kind war. Voller unrealistischer Vorstellungen, aber ausgestattet mit genug Eifer sie umzusetzen.

„Vielleicht hast du Recht, aber lass solche Aussprüche lieber nie meinen Vater hören, sonst würde er dich wieder maßregeln. Und nun komm, lass uns ein wenig hinausgehen und frische Luft holen.“

 

In seinen Gedanken versunken sass Ingard auf dem Thron in der großen Ratshalle und starrte nach oben. Der große Raum im Zentrum des Palastes lag direkt unter dem Kuppeldach, an dessen Decke fünf große Banner befestigt waren, die fast bis zum Boden reichten. Das silberne Banner über dem König trug das Symbol Freylandts, ein auf dem Kopf stehendes Dreieck in dem sich ein kleineres Dreieck befand und an den Schnittpunkten der beiden waren die drei Symbole der Götter Freylandts zu sehen, Aoz Streithammer, Legias Waage und der Schild Thalameas. Die anderen vier Banner waren in gleichmäßigen Abständen in dem runden Ratssaal verteilt, Ingard senkte den Kopf und sah sie von Links nach Rechts an. Das goldene Banner auf dem ein stilisiertes A zu sehen war das über dem Sonnenhammer schwebte stand für den obersten Kleriker des Reiches, dem Aoziarchen, dem geistigen Anführer des Volkes. Dort neben hing das Banner des Ordens des gerechten Zorns, dem ersten und ältesten Paladinordens des Reiches und der, so konnte man sagen, Armee der Kirche. Auf der anderen Seite hingen die Banner der weltlichen Berater des Königs, die beiden Banner der wichtigsten Großherzogtümer Freylandts. Bunte Fahnen auf denen unzählige goldene und silberne Embleme der verschiedenen Häuser Unter-Trians und Walllands zu sehen waren. Zwischen den großen Bannern der Halle hingen kleinere Fahnen, auf denen die Wappen der restlichen Herzogtümer des Reiches zu sehen waren. Darunter jeweils ein Schwert und ein Schild auf dem ein kurzer Text eingraviert war, ein Beweis der Treue zum König verdeutlicht durch einen Eid. Unter all den bunten Bannern stand ein halbrunder Tisch aus einfachem Holz, mit einigen gepolsterten Stühlen. Dort saßen die Vertreter des Reiches, wenn es zu großen Ratsbesprechungen kam und dort wurden jene Schlachten ausgetragen, die Ingard so sehr hasste. Er selbst saß auf einem leicht erhöhten Thron aus dunklem Steinholz. Ein wuchtiger Thron dessen Armlehnen in zwei mit Silber beschlagenen Falken endeten und deren Flügel die Aussenseiten stellten. Die hölzerne Rückenlehne war einem breiten Schild nachempfunden und trug verschnörkelte Verzierungen. Durch seine Größe und den beiden Falken dominierte der Thron den Raum, dessen restliche Möbel schlicht waren. Selbst die beiden Sitze der königlichen Berater an seinen Seiten wirkten eher klein und wie Kinderstühle im Vergleich zum Thron.

Ingard erhob sich von seinem Thron und trat ein paar Schritte in die Halle, um seinen Blick wieder auf die Decke zu richten. Ein riesiges Gemälde an der Decke, dessen Farben aber mit der Zeit schon ausgeblichen waren, stellte eine der großen Schlachten des Krieges der Befreier da. Unzählige Menschen waren dort zusehen, die sich um drei große und ehrfurchtgebietende Lichtgestalten gesammelt hatten und diese erwartungsvoll ansahen. Ein Mensch jedoch kniete direkt vor den Lichtwesen und schien ein Schwert in den Händen zu halten, das er anscheinend von ihnen überreicht bekommen hatte. Zumindest leuchtete es so hell, wie die Wesen selbst. Hinter den drei Gestalten lag die Leiche eines enthaupteten grauen Drachens.

„Die Schlacht von Kjargengaard, grade für dich ein sehr bedeutendes Werk.“ hallte eine Stimme durch den Saal und ließ Ingard hinab blicken. Am Eingang zur Ratshalle stand ein gerüsteter Mann der den Wappenrock der Armee trug, ein Streithammer und ein Schwert die sich über einem Schild kreuzten das mit einem Falken verziert war. Der Mann war ein ganzes Stück kleiner als Ingard und hatte kurz geschorene braune Haare, einen gestutzten Kinnbart und blaue Augen. Einige Narben ließen das alternde Gesicht noch älter erscheinen.

„Die Geburt unseres Reiches. Meine Ahnen verdienten sich in dieser Schlacht ihren Nachnamen, somit stellt es das bedeutendste Ereignis unsere Familiengeschichte dar. Allerdings dürfte ich dir diese Geschichte schon hundertmal erzählt haben alter Freund.“

„Wo du es grade erwähnst, ja.“ antwortete der Mann lachend, grinste dann und ging auf Ingard zu um ihm die Hand zu reichen, welche dieser lächelnd annahm.

„Rhengart, es tut gut dich zu sehen, aber was führt dich den weiten Weg von deiner Feste hierher?“ fragte Ingard seinen alten Freund.

„Oh, muss ich einen Grund haben um meinem König einen Besuch abzustatten. Auch wenn der Weg über die Brücke voller Gefahren wie Seemonstern, Meerjungfrauen und Elementargeistern war. Vor allem aber voller Meerjungfrauen.“ beide lachten, was durch den Hall der Kammer verstärkt wurde und klang, als ob eine ganze Meute sich in ihr befinden würde.

„Also was führt dich hierher?“ fragte Ingard erneut, mit leichtem Nachdruck.

„Nun zum einen habe ich ein paar Berichte für dich, die üblichen Dinge, welche über die Wochen hinweg in der Feste angefallen sind, sowie eine Auflistung der neuen Schildschwestern, die aus dem Thalamea Kloster Tessmeria zu uns gesandt wurden. Zum anderen habe ich davon gehört, dass dein Sohn …“

„Mir scheint, die Nachricht spricht sich schnell herum.“ sagte Ingard voller Gram.

„Was erwartest du? Er ist der Prinz und es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Ordensbote den Palast betritt. Und ich gehe mal davon aus, dass ihr beiden wieder ein sehr einvernehmliches Gespräch miteinander hattet.“ Ingard drehte sich um und seufzte, während Rhengart die Schriftrollen mit seinen Berichten auf den Tisch legte.

„Erstaunlich, dass ich es vermag ein Reich zu führen, aber nicht meinen Sohn.“

„Nun dies ist deine Schuld. Du hast ihm schließlich die Dickköpfigkeit vererbt, also was erwartest du? Ausserdem, ist es den nicht eigentlich ein Grund zu Freude?“ fragte Rhengart verhalten.

„Freude.“ Das Wort klang hohl, beinah fremd so wie Ingard es sagte. Er drehte sich herum und sah seinen alten Kameraden fragend an.

„Ein jeder wäre stolz, wenn sein Sohn in einen Paladinorden aufgenommen werden würde. Die tapfersten und ehrenhaftesten Krieger unseres Reiches, es ist ein Privileg in ihren Reihen zu dienen.“ antwortete Rhengart.

„Aber ein Prinz dient nicht!“ donnerte Ingard.

„Auch nicht den Göttern?“ entgegnete Rhengart.

„Das ist etwas anderes.“ Ingard winkte mit einer Hand ab.

„Wirklich? Auch der König dient den Göttern und trägt Sorge dafür, dass ihr Wille geschieht. Die Paladine tun dies auch, nur mit dem Schwert. Ausserdem so ich wie ich deinen Sohn kenne, wird er nicht lange brauchen, um in eine führende Position zu gelangen. Seinen Ehrgeiz hat er schließlich auch von dir. Was also ist es Ingard?“ Rhengart sah seinen König an, dessen Miene zu einer steinernen Maske erstarrt zu sein schien.

„Es ist Angst.“ antwortete der König leise.

„Angst?“ wiederholte Rhengart zweifelnd.

„Angst ihn zu verlieren, wieder miterleben zu müssen wie ein geliebter Mensch verschwindet, ohne dass man etwas tun konnte.“ Ingard senkte seine Stimme „Meine geliebte Frau, getötet durch eine Krankheit und ich war verdammt ihrem Siechtum tatenlos zusehen zu müssen. Und nun will mein Sohn ein Paladin werden. Einer der Helden, die immer die Ersten in der Schlacht und die Ersten auf dem Feld der Toten sind.“

„Du sprichst, als ob er sein Todesurteil unterschrieben hätte.“

„Du bist General der Armee Rhengart, du weißt was ich meine, wenn ich von den Paladinen spreche oder?“ Rhengart nickte nur zur Antwort.

„Sie sind mutig und stark, aber dennoch sterben die meisten von ihnen bevor sie ihren dreißigsten Geburtstag erlebt haben. Geschweige denn, dass sie eine Familie gegründet haben.“

„Du fürchtest dich um deine Linie.“ warf der General ein.

„Was?“ Ingard blinzelte.

„Du hast Angst, dass Warnard keine Familie gründet. Das er den Tod auf dem Feld findet, bevor er einen Thronerben gezeugt hat. Er ist der Einzige, der dein Erbe weitergeben könnte, aber er ist noch nicht alt genug, um heiraten zu dürfen.“

Rhengarts Worte hatten Ingard kalt erwischt. Der König atmete tief ein und sah sein Gegenüber an. Nicht viele durften derart offen über solche Themen sprechen. Besonders nicht, wenn sie auch noch zutreffend waren.

„Ingard, ich weiß wie schwer für dich der Verlust deiner Frau war, aber glaube mir, du tust nicht gut daran Warnard wie ein rohes Ei zu behandeln.“ Rhengart versuchte beschwichtigend zu klingen, als ihm aufging welchen Nerv er getroffen hatte.

„Das tue ich auch nicht, als ob ich wie eine Glucke auf ihm hocken würde.“

„Wenn du das tun würde, hättest du ihn sicher schon erdrückt.“ feixte Rhengart „Nein, du tust es nicht, aber in vielem bevormundest du ihn. Lässt ihm keine Freiheiten. Er ist ein junger Mann, voller Tatendrang, so wie du einst. Und vielleicht…“ Ingard wölbte eine seiner struppigen Brauen.

„Vielleicht was?“ sein Freund atmete tief ein. Er selbst war Vater von drei Kindern und wusste, wozu manche erzieherische Maßnahme führen konnte.

„Nun vielleicht war es ja genau dein Verhalten in den letzten Jahren, dass ihn nur noch mehr anspornte.“ antwortete Rhengart ehrlich.

Ingards Blick verfinstere sich und er ging zu seinem Thron hinüber, um sich zu setzen. Es war immer heikel mit ihm über seinen Sohn zu sprechen und selbst sein bester Freund konnte manchmal nicht darauf hoffen, zu ihm durchzudringen. Langsam strich der König sich durch den Bart, während sein General vor ihm stand.

 

Das Sonnenlicht brach sich auf der Oberfläche des Wassers und ließ es funkeln, als ob der Fluss aus Diamanten bestehen würde. Der mächtige Trian wälzte sich durch sein Bett und brach nur gelegentlich in schäumende Gicht, wenn er gegen die massiven Steinsäulen der Brücken traf. Die großen Brücken, von Handwerksmeistern der Menschen und Zwerge erbaut, verbanden die drei großen Stadtgebiete Artheas miteinander. Auf wuchtigen Steinfüßen lagen die breiten Brücken, an deren Uferseiten sich große Tore befanden, deren mächtige Gatter in Notzeiten geschlossen werden konnten. Figuren von Menschen waren in den Stein gehauen worden, der ansonsten nur den Verschleiß der Jahrhunderte aufwies. An den Ufern selbst waren lange gepflasterte Wege, die von Bäumen und Pflanzen flankiert wurden und in regelmäßigen Abständen kleinere Pavillons besaßen, in denen sich Spaziergänger niederlassen konnten. In einem dieser kleinen Pavillons, die nur einfache Holzbauten waren und Platz für sechs Personen boten, saßen Warnard und Antiel, die auf den Fluss sahen. Antiel hatte einen Apfel in der Hand, den er von einer Marktfrau ergattern konnte und nun genüsslich ass. Warnard hingegen sah nachdenklich auf den Trian und hatte die Stirn in Falten gelegt. Es war an Antiel, die Stille zu brechen.

„Sie ist wieder in der Stadt?“ fragte Antiel und biss herzhaft in den Apfel.

„Ja, dass ist sie. Sicher bezieht sie grade ihr Zimmer in der Feste. Heute Abend werden wir zusammen essen, wie es scheint.“ Er ließ seinen Blick auf die dunkle Feste fallen.

Wenn euch danach ist, könnten wir uns des Abends ja treffen. Vielleicht den alten Steigerhof besuchen. Es sei den natürlich…“ Antiel grinste Warnard an, der weiter auf die Feste blickte.

„Was immer du nun denkst, es wird sicher nichts sein, was wir tun. Wir sind einander versprochen und werden uns sicher nicht vor der Ehe der Lust hingeben.“

„Wie hältst du dies eigentlich aus? Ich meine Xaria ist nun wirklich eine sehr ansehnliche Frau.“ in Antiels Stimme schwang Begeisterung mit während Warnard nur seufzte.

„Ich frage mich eher, wie sie das aushält. Das Gelübde betrifft ja nur sie und nicht mich. Auch wenn ich natürlich in den letzten Jahren nur an sie dachte und an keine andere Frau.“ Warnard schluckte, als ihm auffiel wie unpassend seine Worte klangen.

„Na ja, an sie denken heißt ja nicht das du keine andere…“ sagte Antiel langsam, von einem Ohr zu anderen lächelnd.

„Antiel!“ Warnard fuhr ruckartig zu seinem Freund herum, der ihn angrinste wie eine Katze die einen Vogel gefangen hatte.

„Ach Warnard, ich liebe es wenn du so schockiert bist.“

„Sehr komisch. Ich würde ihr niemals untreu sein.“ entgegnete Warnard.

„Dennoch frage ich mich, wie ihr das aushaltet. Ich meine, ihr habt euch ja schon geküsst und auch im selben Bett genächtigt, aber bei den sieben Höllen wie kann man da ruhig bleiben?“

„Eiswurz.“ gab Warnard knapp von sich.

„Was?“ Antiel war so verwirrt, dass er seinen Apfel fallen ließ und sich gleich vorn über beugte um ihn wieder aufzuheben, während Warnard weiter sprach.

„Eiswurz. Ein Kraut. Isst man es, so hemmt es die Gefühle und körperliche Wahrnehmung. Es betäubt einen sozusagen. Soldaten nehmen es, wenn sie leichtere Verletzungen haben um diese nicht zu spüren, wenn sie erneut in die Schlacht müssen. Schmeckt allerdings scheußlich.“ erklärte Warnard so förmlich, als wäre würde er mit einem Schüler sprechen.

„Ich weiß was dies ist, aber ihr habt euch absichtlich mit diesem Zeug…“ fragte Antiel ungläubig.

„Vor allem im Sommer, wenn es warm ist und einem sowieso jedes Kleidungsstück zuviel ist.“ sagte Warnard beiläufig.

„Ihr habt…“ Antiel konnte seinen Unglauben nicht einmal ansatzweise verbergen.

„Ja.“ sagte sein Freund nachdrücklich.

Antiel blinzelte seine Verwirrung weg und schüttelte nur den Kopf. Eigentlich wollte er lachen, aber irgendwie war es zu traurig, dass zwei sich liebende ihre Gefühle erstmal mit einer Arznei hemmen mussten.

„Wenn du mich fragst Warnard, ist das wirklich unsinnig. Ich meine diesen Brauch, Keuschheit der Frau bis zur Hochzeit. Die Götter haben so was nie in ihren Schriften erwähnt.“ erklärte Antiel.

„Sag das nicht mir, aber es ist Gesetz und Brauch in Wallland. Zumindest bei den adeligen Familien. Es ist eine strenge Auslegung der Gesetze von Thalamea und da sie auch noch eine Schildschwester ist, ist dies für sie umso bindender.“ Warnard dachte kurz nach.

„Die Unschuld wahren, bis zur versprochenen Nacht, damit der Segen der Göttin wacht, über die holde Maid.“

„Ein seltsamer Vers.“ sagte Antiel.

„Wallland ist eben nicht für seine Dichtkunst bekannt.“ scherzte Warnard kurz und fuhr dann fort „Danach richten sie sich aber, auch wenn Aoziarch Fengurt vor zweihundert Jahren sagte, es wäre keine Ketzerei, wenn man diesen Vers nicht als Glaubensgebot auslegt. Nur die Wallländer haben einen sehr ausgeprägten Glauben an Thalamea.“

Kurz erinnerte sich Warnard an seine Reise nach Wallland im letzten Jahr und das, was Xaria ihm erzählt hatte. Das Großherzogtum, das an der Grenze zu Dûr-Khaz Nem und den Gebirgen der Zwerge und Orks lag, war zwar vom Gebiet her nicht der größte Teil des Reiches, aber einer der bedeutendsten. Seit dem es zum Bruch zwischen Freylandt und seinem dunklen Nachbarn kam, gab es dort immer wieder Krieg. Grade in den ersten Jahren des schier endlosen Konfliktes zwischen den beiden Ländern, verheerten die endlosen Armeen der Todeskorrumpierer das Land. Als die Menschen kurz davor standen, die Ebenen Walllands zu verlassen sandte Thalamea eine ihrer mächtigsten Kriegerin dorthin und führte die Menschen zum Sieg über eine große Armee des Feindes. Nach diesem Ereignis weihten die Bewohner Walllands ihr Gebiet der Göttin des Schutzes und führten einen strengen Glauben ein. In Wallland gab es keine Familie, die nicht einen eignen kleinen Schrein für die Schutzgöttin hatte. Neben jeder größeren Stadt befand sich ein Kloster, in dem Schildschwestern ihre Fähigkeiten verbessern oder neue ausgebildet wurden. Im großen Kloster von Wallstadt selbst lagen die Schriften und Edikte der Göttin, nach denen die Menschen dort lebten. Der Glaube an die Göttin und das einhalten ihrer Gesetze ist die oberste Pflicht eines jeden Wallländers, egal ob die Gesetze aus belegbaren Quellen stammen oder aber von überlieferten Traditionen ausgingen. Warnard fand es besonders interessant, dass die Wallländer glaubten die Gunst ihrer Göttin zu verlieren, wenn sie auch nur im Geringsten gegen ihre Gesetze handeln würden. Er hatte selbst erlebt, wozu dies führen konnte und war ein wenig verwirrt darüber gewesen, was er sah. Bei einer Reise durch das von Ebenen geprägte Wallland sind Xaria und er durch einen kleinen Weiler gekommen. Die Menschen dort hatten Xaria, die eine Schildschwester war, auf das herzlichste begrüsst. Bis auf ein alter verwirrter Mann. Da es Gesetz war, einer Schildschwerster Respekt zu zollen, wenn man ihr begegnet, wurde der Mann von seiner eignen Familie ergriffen und ins Haus gezerrt. Als Warnard seine Versprochene fragte, was sie nun tun würde hatte diese ihm erklärt das man ihn nun mit Peitsche bestrafen würde dafür, dass er einen solchen Frevel begannen hatte. Eine harte Strafe für einen verwirrten Greis, fand Warnard, aber in Wallland eine akzeptierte Form. Wenig später entschuldigte sich die ganze Familie bei Xaria für diesen Zwischenfall und man schenkte ihr ein Brot, das dem Alten zugestanden hätte. Man hoffte, dass die Göttin nicht zu sehr erzürnt wäre und die Familie deswegen nicht ihre Gunst verloren hätte. In Wallland hing das Überleben der Menschen von der Gunst der Göttin ab. In einem Gebiet das ständig von Untoten bedroht und von Orks geplagt wurde ist der Beistand der Schutzherrin Freylandts wichtiger, als Wasser und Brot.

„Warnard?“ fragte Antiel vorsichtig. Warnard sah seinen Freund blinzelnd an.

„Verzeih, ich habe an meine Reise nach Walland letztes Jahr gedacht. Die Menschen dort leben in ständiger Gefahr, dass der Krieg ihre Heimat verwüstet. Da kann man es ihnen nicht übel nehmen, dass sie sehr stark im Glauben sind. Stell dir vor du würdest an der Grenze leben, da würdest du auch alles tun um in der Gunst der Götter zu stehen.“

„Nun, wenn du das sagst. Das Leben in Arthea ist schon sicherer als an den Grenzen unseres Reiches. Dennoch ist es kein Grund, dass der Glaube in zwanghaftes Verhalten ausartet, oder?“ Warnard fuhr ruckartig zu seinem Freund herum und sah diesen eindringlich an.

„Sei lieber vorsichtig mit dem was du sagst, so was könnte als Ketzerei ausgelegt werden, die Gesetze der Götter in Frage zu stellen.“

„Keine Angst, dies werde ich sicher nicht tun.“ erwiderte Antiel gelassen „Du weißt doch, ich bin ein Anhänger des Legias und grade wir sollten uns mit Gesetzen und deren Auslegung auskennen, oder? Und insofern etwas nicht explizit in den Texten unserer Götter steht, ist es eine Auslegung der Menschen und somit diskutierbar.“ Antiel lächelte, doch Warnard zog nur eine Braue hoch.

„Und was, wenn die Texte selber nicht so ausführlich sind, dass sie in jeder Situation angewandt werden können? Die großen Schriften unserer Götter sind nur den höchsten Gläubigen zugängig, die uns diese Schriften mitteilen. Viele unserer Gesetze sind entstanden durch Abwandlungen der heiligen Schriften und sind somit auch nur Auslegungen der Menschen. Wenn du also bei kleinen Versen anfängst, sie in Frage zu stellen, dann hält dich nichts mehr davon ab weiter zu gehen. Der erste Schritt zu Ketzerei wäre also getan.“ sagte Warnard ermahnend.

Antiel nickte bei diesem Einwand und fuhr fort „Das mag sein, aber die Gesetze sind sehr nah an den Schriften angelegt. Was ich meinte sind lokale Bräuche und Traditionen, deren Ursprünge eher schwammiger Natur sind.“

„Aber eben dort zeigt sich doch der Glaube und ob die Götter dies gutheißen,“ wandte Warnard ein, „Glaube bedeutet zu tun, was im Sinne der Götter ist und solange sie einem nicht zeigen, dass man ihre Gunst verloren hat, ist es doch auch Rechtens was man tut.“

„Und was wenn die Götter einem keine Gunst gewähren, dies aber nicht zeigen oder nichts geschieht um zu zeigen, dass man sie nicht besitzt. Dann setzt man vielleicht irrsinnige Traditionen fort ohne zu wissen, dass grade diese dazu führten, dass die Götter einem nicht mehr zuhören.“ gab Antiel zu bedenken.

„Ich glaube nicht, dass die Götter so etwas tun würden. Im Leben eines jeden Menschen kommt der Moment wo man beweisen muss, dass man einen festen Glauben hat und wenn man ihn besitzt, zeigen sie einem, dass man in ihrer Gunst steht.“ Warnards Worte ließen keinen Zweifel daran, dass er fest zu ihnen stand.

„Und du bist dir da sicher?“ fragte Antiel.

„Ja, weil ich daran glaube und die Götter diesen Glauben beantworten werden.“

Antiel sah zu Boden und nickte dabei, während Warnard ihn musterte und dann sagte: „Glaube ist keine Frage der Wissenschaft mein Freund. Wenn man beginnt den Glauben in Frage zu stellen und ihn erforschen will, dann ist dies der erste Schritt zur Ketzerei. Den so beginnt man damit unsere Götter in Frage zu stellen und das diese existieren, ist ja wohl bewiesen.“

Einige Sekunden herrschte Stille zwischen den beiden Freunden, bis Antiel aufsah.

„Und du willst Paladin werden. Du bist wortgewandt genug um ein guter Legislarch zu werden, willst du es dir nicht überlegen?“ Warnard musste lachen und winkte ab.

„Nein, ich ziehe lieber auf das Schlachtfeld hinaus mit Schwert und Schild, als in die Hallen der Rechtssprechung, wo meine einzige Waffe das Wort ist.“

„Das Wort kann unter Umständen mächtiger sein als das Schwert.“ Begann Antiel, doch Warnard blockte ab.

„Bitte hör nun auf damit, genug hochtrabende Gedanken für heute. Ich habe noch ein Abendessen mit meinem Vater vor mir, da werde ich einiges an Kraft brauchen.“

Antiel nickt und lächelt, warf seine Apfelkitsche weg und erhob sich. Warnard stand ebenso auf, war jedoch nicht ganz zufrieden mit dem Ausgang ihres Gespräches. Antiel und er hatten in der letzten Zeit oft diese Art von Gespräch, meist jedoch länger und hitziger und Warnard hatte Angst, dass sein Freund auf die falsche Bahn geriet. Dem Glauben zu entsagen war eines der schwersten Verbrechen in Freylandt und grade bei Antiel würde es ihn wundern, wenn dieser den Glauben verlieren würde. Schließlich war er der Sohn des Aoziarchen.

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